Er sehe "ein Wachstum der Sterbeindustrie", sagte Gronemeyer in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Lebensende werde zunehmend von bezahlten Dienstleistungen gestaltet.
Die Palliativmedizin, die sich um Menschen in der letzten Lebensphase kümmert, sei "eine Wachstumsbranche ohnegleichen", erläuterte der Forscher. Es stelle sich die Frage, was mit einer Gesellschaft los sei, in der Sterbende in Heime und Institutionen verdrängt würden, sagte er. Auch die Hospizbewegung trage zu diesem Prozess bei. Mit Hospizen werde nur eine weitere Struktur geschaffen, die die Vereinsamung und Institutionalisierung vorantreibe.
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Für die jährlich rund 850.000 sterbenden Menschen sei eine funktionierende Schmerzversorgung nicht bezahlbar, sagte der Soziologe. Es gebe eine "Gier der Experten, die bequemerweise die Frage nach den Grenzen nicht stellen". Der Ausbau der palliativen Versorgung berge ein ebenso großes Finanzierungsproblem wie alle anderen medizinischen Bereiche. Schon jetzt existierten in der Palliativmedizin die in der Krankenhaus-Finanzierung üblichen Fallpauschalen, wonach pro Patient nur eine feste Pauschale abgerechnet werden kann.
Das Lebensende werde allein auf die Frage der Schmerztherapie reduziert, vorangetrieben von der Pharmaindustrie, die daran ein großes Interesse habe. "Die ersten Lehrstühle für Palliativmedizin wurden von der Pharmaindustrie finanziert", sagte Gronemeyer.
Sterben gerate immer mehr zu einem "palliativen Projekt": ein Lebensabschnitt, in dem es möglichst gut laufen solle. Die Frage, wie man sterben will, werde auf den Einzelnen verlagert, was "eine unglaubliche Überlastung des Individuums" bedeute.
Reimer Gronemeyer/Andreas Heller, In Ruhe sterben - Was wir uns wünschen und was die moderne Medizin nicht leisten kann, Pattloch Verlag München, 19,99 Euro, Erscheinungstermin 1. April 2014, 304 Seiten, ISBN: 978-3-629-13011-2