Der lernbehinderte Ali B. wisse gar nicht, was eine Hochzeit sei. Deshalb sei er auch gar nicht in der Lage, zuzustimmen. Doch die Eltern warfen dem Sozialarbeiter vor, ihre Kultur nicht zu respektieren. Nachdem der Sozialarbeiter seinen Vorgesetzten informiert hatte, beschlossen beide, gemeinsam zu den Eltern zu gehen, doch sie kamen zu spät. Ali B. war bereits auf dem Weg zu seiner Hochzeit.
Seit 2008 ist es in Großbritannien ein Rechtsverstoß, Menschen ohne deren Einverständnis zu verheiraten oder sie in eine Heirat zu zwingen - ganz gleich ob sie behindert sind oder nicht. Nun plant die britische Regierung die Zwangsheiraten unter Strafe zu stellen und sie zu einer eigenen Straftat zu machen, bei der sogar Gefängnis droht.
"Es geht nicht darum, Menschen das Heiraten zu verbieten"
Allein zwischen 2011 und 2012 wurden landesweit 114 Fälle von Hochzeiten bekannt, bei denen Braut oder Bräutigam eine so schwere Beeinträchtigung hatten, dass sie nicht in der Lage waren, einer Hochzeit zuzustimmen, aber dennoch verheiratet wurden.
###mehr-artikel### "Es geht nicht darum, Menschen mit Lernschwierigkeiten das Heiraten zu verbieten", sagt Rachael Clawson, Wissenschaftlerin an der Universität von Nottingham. Sie erforscht die Hintergründe von Zwangsheiraten von behinderten Menschen und berät die Regierung beim Erlassen von Richtlinien. "Natürlich sollen auch Menschen mit Lernschwierigkeiten heiraten können, wenn sie ermessen können, was eine Hochzeit bedeutet. Aber eine Hochzeit, ohne dass jemand die geistigen Fähigkeiten hat, dieser zuzustimmen, ist immer rechtswidrig."
Für die Eltern gibt es viele Gründe, warum sie ihre behinderten Kinder verheiraten. Weil viele dieser Fälle in Einwandererfamilien vorkommen, seien es oft kulturelle Hintergründe, die zu einer Zwangsehe führen, sagt Clawson. Nicht selten gehe es auch um ein Problem mit der Aufenthaltserlaubnis, das mittels Hochzeit gelöst werden soll.
Ehepartnerin wird zur Pflegerin
"Häufig wollen die Eltern einfach nur einen Pfleger oder eine Pflegerin für ihr behindertes Kind organisieren, weil sie sich nicht im Stande fühlten, weiterhin selbst die Pflege zu übernehmen oder sich Sorgen machten, was passiert, wenn sie nicht mehr am Leben sind", sagt Cris McCurley. Sie ist Anwältin in der Kanzlei Ben Hoare Bell im nordenglischen Sunderland. Sie vertritt Opfer von Zwangshochzeiten, darunter auch viele behinderte Menschen.
"In vielen Fällen haben sich Braut und Bräutigam vor der Zeremonie nie getroffen, sitzen nebeneinander bei der Hochzeit, sprechen nicht miteinander, schauen geradeaus, bekommen Kuchen und Geld und wissen nicht, ob ihr Ehemann oder die Ehefrau eine Behinderung hat", sagt McCurley. In einem ihrer Fälle hatte das Paar per Telefon geheiratet. Die Frau im Ausland ahnte nicht, dass sie zur Pflegerin für ihren künftigen Ehemann werden sollte.
"Es ist wichtig, dass die Betroffenen eine Wahl haben"
Anders als in Deutschland akzeptiert Großbritannien in den meisten Fällen Ehen, die auf Basis der Gesetze eines anderen Landes geschlossen wurden. Ist die Ehe erst einmal geschlossen, kämpft McCurley für ihre Mandanten, diese gegebenenfalls annullieren zu lassen. Mit den von Clawson erarbeiteten Richtlinien sollen vor allem Sozialarbeiter, Hausärzte und Lehrer geschult werden, um die umstrittenen Hochzeiten zu verhindern.
Anwältin McCurley sieht die Kriminalisierung kritisch. "Es ist wichtig, dass die Betroffenen eine Wahl haben", sagt sie. In all den Jahren habe sie in nur zwei Fällen erlebt, dass die Opfer wollten, dass ihre Angehörigen für das Erzwingen der Hochzeit bestraft würden. "Es ist vergleichbar mit den Fällen von häuslicher Gewalt. Viele Opfer möchten, dass die Gewalt aufhört, aber nicht in jedem Fall, dass der Täter ins Gefängnis muss." Sie befürchtet, eine Kriminalisierung könnte dazu beitragen, dass die Fälle im Untergrund verschwinden.