Mariella trennen nur zehn Minuten Fußweg vom größten Weihnachtsbaum der Welt - zwischen Hunderten Verkaufsständen in der Dortmunder Innenstadt. Sie wird aber auch in diesem Jahr nicht hingehen. Weil sie eben doch zu viel von den vielen Menschen zwischen den Holzhäuschen trennt. "Meine Kinder wissen besser gar nicht, was es da alles gibt", sagt die 33-Jährige. Gebrannte Mandel für 3,50 Euro zum Beispiel oder Karussellfahrten für zwei Euro: Mariella ist schon im fünftem Jahr "auf Hartz IV", arbeitslos mit drei Kindern zwischen zwei und sechs Jahren.
Angst vor Weihnachten - jedes Jahr
Ihren Nachnamen will sie lieber nicht gedruckt sehen, "am Ende habe ich noch irgendeine Regel gebogen und mir wird Geld abgezogen". Der aktuelle Regelsatz fürs Arbeitslosengeld II sieht für ihre Kinder Essensgeld von rund 2,60 Euro täglich vor, die vorgesehenen "Ausgaben für Freizeit" liegen bei knapp 1,20. "Auf dem Weihnachtsmarkt hat man damit nichts verloren", sagt die Alleinerziehende. "Sonst klappt das mit den Geschenken nicht."
Wie sie rechnen in Deutschland viele Familien: Von den aktuell rund 6,13 Millionen Hartz-IV-Empfängern sind 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche. "Deren Eltern haben jedes Jahr Angst vor Weihnachten", sagt Dirk Neidull von der Wetzlarer Arbeitsloseninitiative Wali. Denn die Wintermonate seien sowieso schwierig. "Es müssen Winterschuhe und Kleidung für die Kinder angeschafft werden, dafür reicht der vorgesehene Betrag fast nie", sagt der Berater. "Wer dafür übers Jahr nichts weggelegt hat, dem bleibt dann nichts für Weihnachten."
Die meisten Eltern schafften es trotzdem irgendwie, ihren Kindern Geschenke zu machen. Sie von anderen - Verwandten, Freunden, Nachbarn - anzunehmen, ist heikel. "Man muss unter zehn Euro bleiben", rät Neidull.
"Weihnchten sollte in Deutschland zum Leben dazugehören"
Geschenke dürfen "die Lage der Leistungsberechtigen nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nicht gerechtfertig wären" lautet der Gesetzestext. "Geldüberweisungen gehen gar nicht, aber auch der Gegenwert größerer Sachgeschenke müsste ans Amts zurückgezahlt werden", erklärt Neidull. Der Hartz-IV-Satz soll schließlich für alles reichen, was man zum Leben braucht. "Er tut es aber nicht, das merkt man an Weihnachten besonders", sagt Neidull.
Weihnachtsbaum, Adventskranz, Gebäck, Kerzen: "Das gehört zum Fest, aber nicht zum offiziellen Hartz-IV-Bedarf." Das schließe eine große Gruppe Menschen von einem wichtigen Teil des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland aus.
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Im oberbayrischen Burghausen wird der Regelsatz deshalb zu Weihnachten korrigiert: In der 18.000 Einwohnerkommune an der Grenze zu Österreich gibt es für Empfänger von Sozialleistungen eine "Weihnachtsbeihilfe" von bis zu 120 Euro. 2005 ließ der SPD-Bürgermeister erstmals im Stadtrat über sie abstimmen - bis heute kommt sie immer durch. "Weihnachten sollte in Deutschland zum Leben dazu gehören", erklärt Elisabeth Rummert vom Burghausener Sozialamt. "Dass das von dem vorgesehenen Einkommen nicht geht, ist doch jedem bewusst."
Burghausen habe als wirtschaftlich erfolgreiche Kommune viele Gewerbesteuereinnahmen. "Solange das so ist, helfen wir Weihnachten nach", sagt Rummert.
Auch die Arbeitsloseninitiative Wali im hessischen Wetzlar gibt Weihnachtsnachhilfe. "Wir laden zu einem Weihnachtsfest ein und verteilen dabei auch kleine Geschenke an die Kinder", sagt Dirk Neidull. Eine Geste in der Zeit, in der die Armut die Betroffenen besonders schmerzt.
Für die Alleinerziehende Mariella aus Dortmund ist der Stress vor Weihnachten besonders groß: Ihrem Ältesten passen die Winterstiefel nicht mehr. Mariella musste neue Schuhe kaufen und ist dafür an ihre Reserven gegangen. Zum Schulausflug hat sie ihn dann erst gar nicht mitgeschickt."Da haben dann außer ihm alle Taschengeld". Dafür hat sie bei einer Online-Auktion für 1,50 Euro eine Ritterburg mit Spielfiguren ersteigert. "Da sind mir zentnerweise Steine vom Herzen gefallen", sagt sie. "Ich schaffe ein schönes Weihnachten. Aber ich habe mir vorher so viele Sorgen gemacht, dass ich jetzt ganz erschöpft bin."