Riad Jarjour sieht besorgt aus. Der evangelische Pfarrer und ehemalige Generalsekretär des Rates der Kirchen mit Nahen Osten hat schlechte Nachrichten aus seinem Heimatdorf erhalten. Jarjour stammt aus Sadad, das in der Nähe der mittelsyrischen Stadt Homs liegt. Bewaffnete Männer besetzten die Ortschaft, die mehrheitlich von Christen bewohnt wird. Seine Angst ist groß, dass Sadad zum Schauplatz von Kämpfen zwischen Regierungstruppen und oppositionellen Milizen wird.
###mehr-artikel### Der Bürgerkrieg in Syrien hat viele Christen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Wie die muslimische Mehrheit sind sie von Kampfhandlungen betroffen: Ihre Wohnorte und Gotteshäuser sind Schauplätze der Auseinandersetzungen. Sie werden aber auch von radikal-islamistischen Gruppierungen gezielt ins Visier genommen, wie etwa im ostsyrischen Raqqa, wo eine islamistische Miliz eine Kirche angezündet und ihre Fahne darüber gehisst hat. Jarjour schätzt, dass zwischen 600.000 und 800.000 Christen das Land bereits verlassen haben. Das sind rund ein Viertel der in Syrien lebenden christlichen Bevölkerung.
Gewalt und politische Instabilität prägen das Bild in vielen Ländern des "Arabischen Frühlings". Syrien ist ein Beispiel. Auch in Ägypten leiden Kopten verstärkt unter Verfolgung und Diskriminierung. Der "Arabische Frühling" habe radikale islamische Kräfte hervorgebracht, die allen andersdenkenden Menschen ihre Linie aufzwingen wollen, sagt Habib Badr, der leitende Pfarrer der Nationalen Evangelischen Kirche in Beirut. "Da wir Christen zahlenmäßig eine kleine Gruppe im Nahen Osten darstellen, sind wir stark unter Druck. Wir werden heute gezwungen unsere Heimatländer zu verlassen", sagt er.
Gebete für die Glaubensgeschwister
Diese dramatische Entwicklung hat Kirchenvertreter und Laien zum Handeln bewogen. Weltweit werden am 10. November, dem weltweiten Gebetstag für verfolgte Christen, Gebete für die Glaubensgeschwister in der Region stattfinden. Aber auch im Nahen Osten schließen sich die Christen zusammen: Die "Versammlung orientalischer Christen", die 2010 gegründet wurde, will eine Lobby für die Interessen aller Christen in der Region schaffen.
###mehr-links### "Angesichts der Lage im Nahen Osten dürfen wir nicht als Maronit, als Kopte oder als orthodoxer Christ sprechen, sondern wir müssen mit einer Stimme auftreten", sagt Fuad Abu Nader. Der 57-Jährige ist ein aktives Mitglied der maronitischen Kirche im Libanon und als Laie Mitbegründer der "Versammlung orientalischer Christen". Habib Badr, einer der Initiatoren der Versammlung, blickt auch auf muslimische Partner. Gemäßigte Muslime müssten gegen die Radikalisierung in ihren Reihen etwas unternehmen, sagt er. Denn letztendlich seien auch sie Opfer dieser Entwicklung. Es müsse wieder ein Klima der gegenseitigen
Akzeptanz geschaffen werden, fordert Badr.
Die "Versammlung orientalischer Christen" tritt in die Fußstapfen des Nahöstlichen Kirchenrates. Der Rat der Kirchen im Nahen Osten, 1974 gegründet, war die ökumenische Plattform und das Sprachrohr der christlichen Gemeinschaften in der arabischen Region. "Der Rat hat es geschafft, die Feindschaft und Ignoranz zwischen den unterschiedlichen Konfessionen abzubauen. Das war eines der Hauptziele seiner Gründung", sagt Badr.
Auch wirtschaftlich ohne Perspektive
Doch wegen interner Probleme ist der Nahöstliche Kirchenrat nahezu arbeitsunfähig. Nun soll die "Versammlung orientalischer Christen" vorübergehend dessen Arbeit übernehmen. Die Herausforderungen sind groß. Praktische Schritte sind notwendig, um den Schrumpfungsprozess der christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten zu bremsen. Denn die Angst vor Verfolgung und Gewalt ist nur ein Grund, der Christen zur Auswanderung bewegt. Wirtschaftliche Perspektivlosigkeit wiegt ebenso schwer.
Ein Beispiel dafür ist der Libanon, wo weder religiöse noch politische Verfolgung den Christen das Leben erschwert. Trotzdem entscheiden sich immer mehr Christen, ihrer Heimat den Rücken zu kehren. Viele libanesische Christen wünschen sich daher mehr Engagement von ihren Kirchen.
Der 45-jährige Christ Michel Hage findet, dass kirchliche Einrichtungen im Libanon nicht genug tun, um die Glaubensgemeinschaft zu unterstützen. Er verweist etwa auf die Schulgebühren. Christliche Schulen könnten einkommensschwachen Eltern einen Teil der Gebühren erlassen, schlägt er vor. "Das wäre auch ein Ansporn für christliche Familien, mehr Kinder zu bekommen."