Anfang des Jahres entstand in London eine kirchenähnliche Versammlung unter dem Namen "The Sunday Assembly" (die "Sonntagsversammlung"). Während der Sommermonate hat sich die Bewegung, die von Außenstehenden oft als "atheistische Kirche" bezeichnet wird, zunehmend etablieren können: In New York, Melbourne, Brighton und Bristol wurden erste Zweigstellen gegründet. Weltweit sollen weitere Gruppen entstehen - und das wird vermutlich auch passieren.
In London treffen sich inzwischen bis zu 400 junge und überwiegend gut ausgebildete Menschen jeden ersten und dritten Sonntag des Monats in der "Conway Hall". Das ist ein alternatives Kulturzentrum im Stadtteil Holborn, einem attraktiven Geschäftsviertel im Herzen Londons. Das Motto der Versammlungen lautet: "Lebe besser, helfe öfter, staune mehr". Man singt miteinander, hört Vorträge zu interessanten Themen und möchte Gemeinschaft erleben. Es gilt, so sagen das Teilnehmer, das Wunder des Lebens zu feiern – und Gutes zu tun. Im September hat man am Rande einer Zusammenkunft Lebensmittelspenden gesammelt und an Bedürftige abgegeben. Der Vergleich mit einer Kirche drängt sich auf: Hier könnte man das als Erntedankgottesdienst bezeichnen. Eine gewisse Nähe zu den traditionellen Kirchen ist also nicht zu übersehen. Und doch ist alles anders.
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Gegründet wurde die "Sunday Assembly" von dem Schauspieler und Komödianten Sanderson Jones und der Künstlerin Pippa Evans. Erstmals traf man sich am 6. Januar 2013. Die Idee war, die charmanten Seiten einer Kirche wie Gemeinschaft und Begegnung erleben zu können, ohne auf religiöse Vorstellungen festgelegt zu werden. In einer Ansprache erinnerte der Gründer Sanderson die Zuhörer kürzlich daran, wie wichtig eine dankbare Grundhaltung für ein gelingendes und glückliches Leben ist. Er empfahl Dankbarkeit nicht nur gegenüber den großen Dingen im Leben, sondern Dankbarkeit auch gegenüber Alltäglichkeiten. So rief er aus: "Thank you, floor" - Danke dir, Boden!
Die Sehnsucht nach guter und verbindlicher Gemeinschaft
Erstaunlich ist der Zulauf, den die "Sunday Assembly" in den letzten Monaten erlebt. Konkrete Zahlen gibt es nicht, die Besucher der "Assemblies" werden nicht registriert. Sanderson Jones jubelte dennoch: "Wir wachsen schneller als jede Kirche." Weltweit soll es inzwischen 30 solcher sonntäglichen Versammlungen geben. Offensichtlich bedient sie Bedürfnisse, die besonders in anonymen Großstädten weit verbreitet sind: Nämlich die Sehnsucht nach guter und verbindlicher Gemeinschaft. Das gilt umso mehr in einer modernen Leistungsgesellschaft, in der Individualisierung und Leistung eine wichtige Rolle spielen. So ist es kein Zufall, dass Besucher der "Sunday Assembly" im Internet begeistert berichten, wie sehr ihnen der gute und andere Umgang miteinander gefallen hat.
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Kritiker monieren, dass man zum Erleben von Gemeinschaft keiner neuen Kirche bedürfe und vielmehr ein Kegelklub auch ausreichen könnte. Der Erfolg der Sunday Assembly zeigt jedoch, dass es so einfach nicht ist. Es geht um eine neue und bessere Form des Umgangs miteinander – es geht darum, der Vereinzelung der Menschen etwas entgegen zu setzen. Man könnte die Sunday Assembly also auch als "Anti-Einsamkeitskirche" bezeichnen. Zweifellos haben auch die etablierten Kirchen den Anspruch, dass auch bei ihnen gute Gemeinschaft möglich ist. Aber viele junge Menschen finden diese nicht (mehr) in den Kirchen und suchen sie außerhalb.
Daher ist es auch ungenau, die "Sunday Assembly" als atheistische Kirche zu bezeichnen. Denn polemischen Atheismus findet man dort nicht. Allenfalls Menschen den Eindruck haben, dass sie Kirche und Religion nicht mehr benötigen oder nicht mehr wollen. In den letzten Wochen hat sich in den Londoner Zusammenkünften übrigens ein neues Motto durchgesetzt: Gutes tun und dabei auch noch gut aussehen ("doing good and looking good doing it").