Eyad Abdo hält den ständig dudelnden Fernseher nicht mehr aus. Die Nachrichten aus seiner syrischen Heimat machen dem 20-Jährigen Angst, und er fühlt sich nutzlos. "Ich möchte für meine Familie arbeiten", sagt er. Mit vier Familien teilen sich seine Eltern, sein Bruder und er seit fünf Monaten eine Vier-Zimmer-Wohnung im türkischen Kirikhan nahe der syrischen Grenze. Keiner von ihnen findet einen bezahlten Job. Miete, Essen und andere Kosten muss die Familie vom Ersparten bezahlen.
###mehr-artikel###Syrische Flüchtlinge bekommen vom türkischen Staat keine Unterstützung, wenn sie außerhalb der Camps wohnen. Und das sind nicht wenige: Von den rund 435.000 Flüchtlingen, die nach UN-Schätzung über die Grenze in die Türkei geflohen sind, lebt mehr als die Hälfte nicht in Camps. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich viel höher, denn viele Flüchtlinge wie Abdo und seine Familie sind nicht registriert. Die Geflohenen erhoffen sich mehr Freiheit bei einem Leben außerhalb des Camps oder finden in den Lagern schlicht keinen Platz. Denn die türkischen Behörden kommen angesichts täglich neu ankommender Flüchtlinge mit dem Errichten weiterer Camps kaum hinterher.
550 türkische Lira bezahlen die fünf Flüchtlingsfamilien für ihre Wohnung, rund 220 Euro im Monat. Abdo schätzt, dass das Ersparte der Familie noch bis Ende des Jahres reicht und fürchtet, dass die Familie dann zurück nach Syrien muss. Ihr Eigentum in der Heimat können sie nicht mehr zu Geld machen. "Wer kauft jetzt schon ein Haus in Syrien", sagt er mit sarkastischem Unterton. Er weiß nicht einmal, ob es noch steht. "Als wir weggingen, war in der Umgebung fast alles zerstört. An unserem Haus waren einige Fenster schon bei der Wucht der Bomben zersprungen", erzählt er.
Viele finden keinen Job
Viele Flüchtlinge haben das gleiche Problem wie Abdo und seine Familie. Der 47-jährige Mohamad Maj Musein findet auch keinen Job, um seine sechsköpfige Familie auf Dauer zu ernähren. Dem Umwelttechnik-Ingenieur Iwan Rasheed, der mit seiner Frau und deren Eltern geflüchtet ist, geht es genauso.
Das größte Problem ist die Sprachbarriere. Die arabisch sprechenden Flüchtlinge tun sich schwer mit dem komplizierten Türkisch. Zudem wachsen die Vorbehalte aufseiten der zunächst gastfreundlichen und verständnisvollen Türken.
###mehr-info###Die Provinz Hatay, der südlichste Zipfel der Türkei, gehörte immerhin einst zu Syrien. 1939 wurde sie der Türkei zugeschlagen. Multi-Kulti und Multi-Religiosität sind bis heute spürbar. In der Provinzhauptstadt Antakya liegen Moschee, katholische Kirche und Synagoge direkt nebeneinander. Daneben leben Protestanten, Orthodoxe, Armenier und Alawiten in dem Ort - ohne Konflikt, wie Bewohner versichern.
Attentat mit Dutzenden Toten
Die anfangs auch freundliche Haltung gegenüber den Flüchtlingen hat sich aber nach einem Bombenattentat in Reyhanli im Mai jäh geändert. Mehr als 50 Menschen wurden getötet und über 100 verletzt. Wer die Täter waren, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. "Bis dahin dachten die Flüchtlinge und die Bewohner der Grenzstädte, man ist schon einen Meter hinter der syrischen Grenze auf der sicheren Seite", schildert Flüchtlingshelfer Görkhan Erkutlu die Situation. "Seit dem Anschlag wird den Flüchtlingen vorgeworfen, sie hätten den Krieg in die Türkei gebracht", sagt er.
Viele der Geflohenen reagierten prompt auf die kippende Stimmung: Verzeichnete die 60.000-Einwohner-Stadt vor den Anschlägen bis zu 80.000 Flüchtlinge, ist deren Zahl nach Schätzung von Behörden und vor Ort aktiven Helfern inzwischen auf 40.000 gesunken. Viele sind in andere Städte weitergezogen.
Matratzen und ein Fernseher
Andere haben keine Wahl, wie die zwei Familien, die sich seit einem Jahr zu zehnt eine karge Unterkunft in einem Mehrfamilienhaus teilen und - mangels Job - das Geld dafür von einer lokalen Spendenorganisation bekommen. Die einzige Einrichtung sind Matratzen auf dem Boden, ein Fernseher. Manchmal hören sie Explosionen und sehen Rauch hinter dem Berg, wo in nur zehn Kilometern Entfernung bereits Syrien liegt. In die Stadt gehen sie nur noch ungern. "Die Distanz zu den Einwohnern hier ist gewachsen", sagt ein Vater. "Wir vermissen die Heimat und wollen zurück." Wann das sein wird, kann aber niemand sagen.