Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert Steuererhöhungen für Bildung und Soziales und wirft den Parteien im Wahlkampf vor, die Bürger über die Kosten kommender Reformen im Ungewissen zu lassen. "Was Sozialreformen wirklich kosten" heißt die Studie, die der Verband am Donnerstag in Berlin vorlegte. Danach sind 35 Milliarden Euro pro Jahr notwendig, um drängende soziale Projekte umzusetzen. Während die FDP dem Verband vorwarf, Wahlkampf für die versammelte Linke zu machen und sich die Union gegen Steuererhöhungen wandte, begrüßte der Grünen-Vorsitzende Jürgen Trittin den Vorstoß.
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Von 2014 bis 2017 ergibt sich nach den Berechnungen des Paritätischen ein Finanzbedarf für soziale Investitionen von mindestens 142 Milliarden Euro. Wichtige Aufgaben wie der weitere Ausbau der Kinderbetreuung und die Einstellung neuer Pflegekräfte seien darin noch nicht enthalten, erklärte der Vorsitzende des Verbandes, Rolf Rosenbrock.
Der Verband, der schon häufiger präzise Expertisen etwa zur Verteilung der Kinderarmut in Deutschland oder zur Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze erstellte, hat sich auf acht Felder konzentriert. Beispiel Pflege: 8,7 Milliarden Euro pro Jahr werden der Studie zufolge zusätzlich gebraucht. Mit je zwei Milliarden Euro schlüge der Umbau der Pflegeversicherung zugunsten demenzkranker Menschen im ambulanten und stationären Sektor zu Buche; hinzu kämen weitere je zwei Milliarden Euro, damit durch die neuen Pflegegrade niemand schlechter gestellt würde und um die pflegenden Angehörigen zu entlasten. Die Berechnungen des Paritätischen beziehen sich auf die Berichte zweier Regierungskommissionen zur Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs.
Studie: Zusätzliche Bildungsinvestitionen für ca. 4 Milliarden
An zusätzlichen Bildungsinvestitionen veranschlagt die Studie zwischen 3,2 und 4,4 Milliarden Euro pro Jahr, für bezahlbares Wohnen und Energie fünf Milliarden, für die gesetzlich vorgeschriebene Inklusion behinderter Menschen zwischen fünf und sechs Milliarden pro Jahr sowie für die Vermeidung von Altersarmut und die Absicherung des Existenzminimums ebenfalls sechs Milliarden Euro. Bei den Hartz-IV-Regelsätzen legt der Verband allerdings die eigene Forderung zugrunde, wonach sie um 80 Euro im Monat steigen müssten - was politisch nicht durchsetzbar ist, egal in welcher Regierungskonstellation.
Gefragt nach der Finanzierung der zusätzlichen Ausgaben verwies Rosenbrock auf die Steuerpläne von Grünen, SPD und der Linkspartei. Wenn nicht woanders gekürzt werden solle, komme man nicht umhin, den Reichtum stärker zu besteuern, sagte er. Außerdem gingen dem Staat allein durch Steuerbetrug jedes Jahr 40 Milliarden Euro verloren.
Hartz-IV-Regelsatz müsse auf 420 Euro steigen
Der Grünen-Vorsitzende Trittin erklärte, seine Partei wolle "denen oben ein wenig nehmen, um vielen etwas zu geben". Der Hartz-IV-Regelsatz müsse auf 420 Euro steigen. Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Ingrid Fischbach (CDU), wandte sich gegen Steuererhöhungen. Sie gefährdeten den Mittelstand und die gute wirtschaftliche Entwicklung.
Der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Patrick Meinhardt, zeigte sich enttäuscht. Er erwarte von einem Sozialverband "mehr Neutralität und Fairness", erklärte er. Der Staat habe noch nie so viel Steuern eingenommen wie heute. Es komme darauf an, die Sozialleistungen daraufhin zu überprüfen, ob sie den wirklich Bedürftigen zugutekommen.
Alle Oppositionsparteien sprechen sich für höhere Steuern auf große Einkommen und Vermögen aus. Die SPD plant eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes, eine Vermögenssteuer und Aufschläge auf die Erbschaftssteuer. Die Grünen wollen darüber hinaus eine Vermögensabgabe für Millionäre. Die Linkspartei will Einkommen von mehr als einer Million Euro im Jahr mit 75 Prozent besteuern. Der Paritätische Wohlfahrtsverband engagiert sich seinerseits im "Bündnis Umfairteilen" für eine höhere Besteuerung von Vermögen. Dem Bündnis gehören Sozialverbände, Gewerkschaften, Migrantenorganisationen und das globalisierungskritische Bündnis Attac an.