Als der Automechaniker seinen Fehler bemerkt, hat der Kunde den Werkstatthof gerade verlassen. Mehrere Schrauben sind nicht angezogen, ein schwerer Unfall droht. Den Fahrer erreicht die lebensrettende Information übers Radio. "Und jetzt noch ein dringender Reiseruf" - ein halbes Jahrhundert lang leiteten diese oder ähnliche Worte dringende Suchmeldungen im Hörfunk ein, mehrere Tausend waren es im Jahr. Im Zeitalter der Mobiltelefone ist der Reiseruf inzwischen jedoch fast ausgestorben.
###mehr-artikel### Seit 1961 begleiten Suchmeldungen via Radio Reisende auf ihren Wegen: "Herr Dietmar Schmidt wird gebeten, sich umgehend mit seiner Mutter in Verbindung zu setzen." War man im gefragten "Raum Düsseldorf" unterwegs und selbst nicht gemeint, hielt man gebannt nach dem "roten VW-Golf" des Gesuchten Ausschau und fragte sich, welche Nachricht ihn wohl erwartete.
"Hinter einem Reiseruf steckt immer ein sehr ernster Fall"
"Hinter einem Reiseruf steckt immer ein sehr ernster Fall", sagt Katharina Dümmer vom ADAC. Der Automobilclub nimmt Reiserufe über eine Servicenummer an und leitet sie an die Rundfunksender weiter. In dem meisten Fällen geht es um den Tod eines Verwandten. Manchmal haben die Gesuchten ihr Medikament vergessen, oder das Haus steht unter Wasser. Nur selten gibt es eine gute Nachricht, zum Beispiel wenn der Empfänger eines Spenderorgans gesucht wird und dringend in die Klinik muss.
Nur noch drei Suchmeldungen in 2012
Die Reiserufstelle der ARD ist beim Hessischen Rundfunk angesiedelt. "Um Missbrauch zu verhindern, wird jede Anfrage gründlich auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft", sagt Arndt Heyer, Leiter der Verkehrsredaktion. "Mit Fingerspitzengefühl" fragten er und seine Kollegen bei den Anrufern nach einer Sterbebestätigung oder erkundigten sich bei der zuständigen Polizeidienststelle. Kein leichter Job, der seit Jahren immer seltener zu erledigen ist: Im Jahr 2000 gab es rund 1.000 Reiserufe, im vergangenen Jahr wurden nur noch drei Suchmeldungen gesendet.
Eine Ära neigt sich dem Ende zu, die ihre Anfänge bereits in den 1930er Jahren nahm. Schon damals gab es ein Reiserufsystem. Dazu wurden auf dem Mittelstreifen vor Autobahnraststätten große schwarze Tafeln platziert. Darauf schrieben die Tankstellenwärter mit der Einleitung "Fernruf für..." Suchinformationen, die sie vom Fernmeldeamt erhielten. Mit etwas Glück lasen die Betroffenen den Reiseruf im Vorbeifahren und telefonierten von der nächsten Raststätte.
Weil heute fast jeder ein Handy besitzt, ist kaum noch jemand auf den Reiseruf im Radio angewiesen. Trotzdem bleibt das Angebot vorerst erhalten. "Wenn wir auch nur einer Person pro Jahr helfen können, hat der Reiseruf seinen Zweck erfüllt", sagt Katharina Dümmer.