"Wir benötigen dringend eine ernsthafte Friedensinitiative, damit das Leid der Menschen bald ein Ende hat", erklärte Müller. Er begrüßte, dass Deutschland und die USA auf dem G8-Gipfel am Montag und Dienstag weitere 425 Millionen Euro Hilfe für Syrien zugesagt hätten. Die humanitäre Hilfe nütze aber nicht viel, wenn der Konflikt nicht bald friedlich beendet werde. Martin Keßler, Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe, warnte: "Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie die Zukunft einer ganzen Generation verspielt wird."
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Infolge des Bürgerkriegs zwischen dem Assad-Regime und Rebellen sind mindestens 1,6 Millionen Syrer in die Nachbarländer geflohen. Innerhalb von Syrien sind etwa 4,2 Millionen Menschen auf der Flucht. Konfliktparteien werden durch Waffenlieferungen aus dem Ausland unterstützt. Zuletzt kündigten die USA an, den Rebellen Kriegsgerät zur Verfügung zu stellen. Die libanesische Hisbollah-Miliz kämpft auf Seiten der Regierung. Seit Beginn des Konflikts im März 2011 wurden nach UN-Angaben über 93.000 Menschen getötet.
Einbindung Russlands wichtig
Nach den Worten von Brzoska sollte gegenwärtig der politische Prozess Vorrang haben. Von Bedeutung sei die geplante Syrien-Konferenz unter Einbindung Russlands, sagte der Hamburger Professor dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Brüssel. Waffenlieferungen hingegen würden zu einer weiteren Eskalation und mehr Blutvergießen führen. Dann würden beide Seiten davon ausgehen, dass sie den Krieg noch militärisch gewinnen könnten, und von Versuchen einer politischen Einigung absehen,
Der Regierungsseite mit russischer Unterstützung stünden dann Rebellen mit Unterstützung aus Saudi-Arabien, Katar und den USA gegenüber, so Brzoska, der als wissenschaftlicher Direktor am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH) tätig ist. Frankreich und Großbritannien würden ihrerseits wohl Kleinwaffen und Munition liefern, "die die Rebellen im Moment durchaus auch aus Saudi-Arabien und anderen Staaten bekommen können". Gleichzeitig sei die Situation so unübersichtlich, dass sich nicht vorhersehen lasse, wohin die Waffen letztlich gelangten.
Durch die Ankündigung, Militärmaterial zu liefern, hätten die westlichen Länder den politischen Prozess erschwert und nicht erleichtert, sagte Brzoska. "Wenn man sich so eindeutig auf die Seite der Rebellen stellt, wird es schwer, gleichzeitig auch Vermittler zu sein." Die Strategie sei wohl, zunächst politischen Druck für die Verhandlungen aufzubauen, damit man einen gegenseitigen Verzicht auf Militärhilfe anbieten könne. "Ich hoffe, dass sich die Situation noch politisch auffangen lässt", so Brzoska. Der Experte hatte in Brüssel an einer Diskussionsrunde der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) teilgenommen. Anlass war die Vorstellung des "Friedensgutachtens 2013" von vier großen deutschen Forschungsinstituten, dessen Mitautor Brzoska ist.
Sorge um die Helfer
Die EU-Kommission äußerte sich unterdessen besorgt über die Lage der humanitären Helfer in Syrien. "Viele werden bedroht, und Erste Hilfe zu leisten, wird zunehmend erschwert", sagte die Regionalkoordinatorin bei der Generaldirektion für Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der EU-Kommission (ECHO), Heinke Veit, dem epd. Um zu den Menschen zu gelangen, müssten Ärzte oder Fahrer von Hilfstransporten mit den Kriegsparteien unter gefährlichen Bedingungen verhandeln. Dazu kämen die Auflagen der staatlichen Behörden.
Veit arbeitet im jordanischen Amman. Nach ihren Angaben sind zurzeit 6,8 Millionen Syrer auf der Flucht, davon 5,2 Millionen im eigenen Land. 1,6 Millionen Menschen wurden bisher in den Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon, im Irak, in der Türkei oder in Ägypten registriert. Veit rechnet damit, dass in den kommenden Wochen noch mehr Menschen in die Lager in Nachbarstaaten fliehen werden. Vor allem schwangere Frauen verlassen das Land. "Viele befürchten, dass die Kämpfe anhalten oder sich sogar verschärfen", sagte Veit. In Syrien fehle es an Medikamenten, Nahrungsmitteln und sauberem Wasser.
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Allein im Flüchtlingslager Saatari in Jordanien leben Schätzungen zufolge mehr als 150.000 Syrer. "Die meisten gehen davon aus, dass sie bald zurück in ihre Heimat zurück können", sagte Veit. Angebote nach Deutschland, in die USA oder nach Großbritannien ausreisen zu können, würden nur selten in Betracht gezogen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks sollen weltweit 10.000 syrische Flüchtlinge über Sonderabkommen aufgenommen werden. Die Bundesregierung hat zugesagt, 5.000 Syrer über ein solches Abkommen einreisen zu lassen. Die ersten sollen im Juli kommen.
Deutschland stockt Unterstützung auf
Die Europäische Union gehört zu den größten Geldgebern für die Syrienhilfe. Laut ECHO wurden seit 2011 mehr als 682 Millionen Euro für die Unterstützung der Flüchtlinge bereitgestellt. Über 400 Millionen kommen aus den Mitgliedsstaaten, 265 Millionen wurden über den EU-Haushalt bereitgestellt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Rande des G8-Gipfels weitere 200 Millionen Euro für Syrien angekündigt. Damit beträgt die deutsche Hilfe rund 340 Millionen Euro.
"Mit humanitärer Hilfe ist es jedoch nicht getan", betonte Veit. Es müsse dringend eine politische Lösung im Konsens mit allen Akteuren gefunden werden. Allerdings äußerte Veit Zweifel, ob dies in naher Zukunft möglich sei. Sie geht davon aus, dass es mehr als 1.400 Splittergruppen gibt, die sich in Syrien bekämpfen.