TV-Tipp des Tages: "Polizeiruf 110: Vor aller Augen" (ARD)

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TV-Tipp des Tages: "Polizeiruf 110: Vor aller Augen" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Polizeiruf 110: Vor aller Augen", 5. Mai, 20.15 Uhr im Ersten
Auf Geheiß der Tochter des Firmengründers hat sich die komplette Belegschaft der Bootswerft Stolze zum Motivationswochenende in eine Westernstadt zurückgezogen.

Mit der ganzen Gelassenheit seiner dreißigjährigen Erfahrung als Regisseur inszeniert Bernd Böhlich diesen "Polizeiruf" aus Potsdam als unspektakulären, aber dank Darsteller und Bildgestaltung sehenswerten Krimi. Der Film beginnt mit einer Mutprobe an einem reizvollen Schauplatz: Auf Geheiß der Tochter des Firmengründers hat sich die komplette Belegschaft der Bootswerft Stolze zum Motivationswochenende in eine Westernstadt zurückgezogen.

Zuckerschock

Am Abend stellt sich Michaela Stolze (Catherine Flemming) mutig den Messerwurfkünsten, doch am Status der verhassten neuen Chefin ändert das nichts: Als die Diabetikerin am nächsten Morgen beim Baden im nahen See einen Zuckerschock erleidet und sich mit letzter Kraft nackt ins Hotel zurückschleppt, weil jemand ihren Bademantel mit dem Insulin versteckt hat, schaut Werftleiter Petzold (Sven Lehmann) ungerührt zu, wie sie zusammenbricht. Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) und ihr treuer Vasall Krause (Horst Krause) brauchen nicht lange, um die Sache aufzuklären; aber dann wird Frau Stolze im Krankenhaus beinahe Opfer eines Mordanschlags.

Böhlich hat großartige Kinofilme mit Katharina Thalbach gedreht ("Der Mond und andere Liebhaber"), dem dicken Polizeihauptmeister Krause im Auftrag der ARD zu einigen Soli verholfen ("Krauses Fest", "Krauses Kur") und schon eine ganze Reihe Potsdamer "Polizeiruf"-Beiträge gedreht; für "Totes Gleis" hat er vor knapp zwanzig Jahren den Grimme-Preis bekommen. Damals hat Otto Sander noch die Hauptrolle gespielt, diesmal wirkt er als Firmengründer mit, der den Betrieb wohl nicht ganz freiwillig seiner Tochter überlassen hat. Eine kleine, aber wichtige Rolle, die Sander mit viel Würde verkörpert; Stolze, der Patriarch, macht seinem Namen alle Ehre. Auch das weitere Ensemble ist sorgfältig und treffend zusammengestellt. Die Belegschaft der Werft, eine Ansammlung von Wegläufern und Duckmäusern, will nicht wahrhaben, dass sich die Zeiten geändert haben. Gerade Lehmann spielt die Mischung aus Zorn und stiller Verzweiflung, die den Werftleiter umtreibt, ganz hervorragend.

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Gleiches gilt für Maria Simon, die ihre Kommissarin je nach Gegenüber reizvoll doppelbödig anlegt: knallhart, als sie sich mit dem breitbeinigen Betreiber (Jochen Nickel) der Westernstadt anlegt, sensibel und mitfühlend, wenn sie die Mitarbeiter der Werft zum Reden bringen will. Und Horst Krause ist ohnehin jede Szene wert. Aber letztlich fesselt der Film vor allem durch seine Handlung (Böhlich hat wie fast immer auch das Drehbuch geschrieben). Die ist zwar überschaubar, doch dafür sind die Figuren umso komplexer, denn nicht alle handelnden Personen sind so durchschaubar wie der cholerische Bootskonstrukteur (Martin Feifel), der gern ein Verhältnis mit der Chefin gehabt hätte.