Bei der Vorstellung eines rechtswissenschaftlichen Gutachtens im Auftrag der SPD-Fraktion erneuerte deren Kirchenbeauftragte Kerstin Griese ihre Forderung nach einem allgemeinen und verbindlichen Branchentarif. "Der eigentliche Gegner beider Seiten ist der ruinöse Wettbewerb", sagte Griese.
Dieser Wettbewerb werde auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen, erklärte der Rechtswissenschaftler Bernd Schlüter. In einem Gutachten schlagen er und der Jurist Christian Bernzen Wege vor, das "unsoziale System" durch allgemeinverbindliche Tarife zu beseitigen. Wenn Kirchen und Gewerkschaften an einem Runden Tisch zu einer einvernehmlichen Lösung für die Bezahlung sozialer Arbeit kommen, könnten per Gesetz verbindliche Tarife für die gesamten Branche ermöglicht werden. Dazu wären den Angaben zufolge auch Änderungen im Tarifrecht und am Sozialgesetzbuch erforderlich. Dabei räumt Schlüter ein, dass die Kirchen allgemeinverbindliche Tarife als Eingriff in ihr Selbstbestimmungsrecht werten könnten.
Selbstbestimmungsrecht der Kirche
Ohne die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas wäre die Einführung eines Branchentarifs nicht möglich, ergänzte Griese. Denn allgemeinverbindlichen Regelungen müsste die Hälfte der Branche zustimmen. Im Bereich Gesundheit und Soziales arbeite die Hälfte bei kirchlichen Einrichtungen, erklärte die SPD-Politikerin.
Zwischen Gewerkschaften und Kirchen tobt seit langem ein Streit wegen des besonderen kirchlichen Arbeitsrechts. Durch das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht gilt für sie der Dritte Weg, bei dem Löhne in paritätisch mit Arbeitsnehmern und Arbeitgebern besetzten Kommissionen ausgehandelt werden und Streiks ausgeschlossen sind.
Gegen das Verbot des Streiks klagte die Gewerkschaft ver.di und erzielte vor dem Bundesarbeitsgericht einen Teilerfolg. Nach Ansicht der Richter sind Streiks unter bestimmten Bedingungen auch in kirchlichen Einrichtungen erlaubt. Weil das Urteil den Sonderweg der Kirchen im Arbeitsrecht aber grundsätzlich bestätigte, hat die Gewerkschaft das Bundesverfassungsgericht angerufen. Auch die Ärztegewerkschaft Marburger Bund kündigte eine Verfassungsbeschwerde an.