Können sich Betroffene wegen eines Traumas auch nach Jahren nur bruchstückhaft an die Taten erinnern, dürfen bei ihrem Antrag auf eine staatliche Opferentschädigung nicht zu strenge Beweise verlangt werden, urteilten die Kasseler Richter am Mittwoch . (AZ: B 9 V 1/12 R)
Geklagt hatte eine Frau aus Nordrhein-Westfalen. Die heute 51-Jährige leidet an einer Persönlichkeits- und Angststörung. Ursache für ihre psychische Erkrankung seien die zwischen 1962 bis 1980 erlittenen Misshandlungen und sexuellen Missbrauchstaten durch ihren Vater.
Beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe hatte die Frau 1999 wegen der Gewalttaten Opferentschädigung beantragt. Doch die Behörde lehnte die Zahlung einer Beschädigtenrente ab. Es gebe keine Zeugen oder ausreichenden Beweise für die Taten, lautete die Begründung. Die Frau könne sich nur bruchstückhaft an die vermeintlichen Taten erinnern. Ihre psychische Erkrankung könne genauso gut nur auf die zerrütteten Familienverhältnisse zurückzuführen sein.
Glaubwürdigkeit des Opfers
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen bestätigte diese Auffassung. Auch ein psychologisches Gutachten habe die Glaubwürdigkeit der Klägerin nicht zweifelsfrei belegen können.
Das BSG verwies den Fall jedoch zur erneuten Prüfung an das LSG zurück. Um eine Opferentschädigung beanspruchen zu können, müsse eine "tätliche rechtswidrige vorsätzliche Handlung" vorliegen. Gebe ein Opfer vor, sexuell missbraucht worden zu sein, müsse dies grundsätzlich bewiesen werden.
Gebe es jedoch für die Taten keine Beweise, Zeugen oder nur Familienangehörige mit einem Aussageverweigerungsrecht, sei die Glaubwürdigkeit des Opfers zu prüfen. In diesem Fall dürfe der psychologische Gutachter nicht zu strenge Maßstäbe anlegen.
Bislang wurde in Gutachten die Glaubwürdigkeit verneint, wenn neben dem möglichen Missbrauch auch andere Gründe für die psychische Erkrankung möglich sind. Es reiche hier aber aus, wenn der Gutachter von mehreren Möglichkeiten die wahrscheinlichste aufzeigt, befand das BSG.