Christen spielen in Hollands Politik mit

Foto: Andreas Hub/laif
Die protestantische Westerkerk in Amsterdam zählt zu den schönsten Gotteshäusern in der Tulpenstadt.
Christen spielen in Hollands Politik mit
Die Niederlande sind geprägt von religiösen Gegensätzen: Nirgendwo anders in Westeuropa ist die Säkularisierung so stark, zugleich pilgern fromme Wallfahrer zur Maastrichter Heiligtumsfahrt, und strenge Calvinisten leben ohne Impfung und Fernseher. Wo in Amsterdam die Schwulen auf der Straße tanzen und sich küssen, werden sie in Staphorst aus dem Dorf gejagt. Heute wird in unserem westlichen Nachbarland ein neues Parlament gewählt. Wie christlich sind die Parteien dort?
12.09.2012
evangelisch.de

"Op zondag is deze website niet beschikbaar" – Am Sonntag ist diese Homepage nicht erreichbar, heißt es auf der Homepage der niederländischen "Staatkundig Gereformeerde Partij" (SGP). Die mit zwei von 150 Sitzen in der niederländischen Zweiten Kammer vertretene Gruppe ist die älteste Partei im Königreich und die strengere der beiden betont evangelisch-reformierten Parteien im Land. Ihre Wähler finden sich im sogenannten Bibelgürtel, der sich von Overijssel im Nordosten bis Zeeland im Südwesten in einem Streifen quer durch das Land erstreckt.

In keinem anderen Land Europas ist der Protestantismus derart aufgespalten wie in den kleinen Niederlanden. Es gibt die Mainstream-Richtung, die sich im Wesentlichen in der Protestanste Kerk in Nederland (PKN) findet, zu der sich 2004 die ehemalige Hervormde Staatskirche mit den gemäßigten Gereformerden und den Lutheranern zusammengeschlossen hat.

Politik ohne Frauen

Daneben gibt es diverse Kirchen meist konservativer und erweckter Signatur, die sich im Laufe der Jahrhunderte aufgrund theologischer Differenzen von der Staatskirche abgespalten haben. "Reformiert" bedeutet im Niederländischen sowohl "hervormd" als auch. "gereformeerd". Das Letztere bezeichnet allerdings in der Regel die strengere Richtung des Calvinismus. Insgesamt stehen in den Niederlanden 16,8 Prozent Protestanten (davon 11 PKN) 27 Prozent Katholiken und 48,4 Prozent Konfessionslose gegenüber. Die traditionell protestantischen Niederlande sind Vergangenheit, auch wenn der Calvinismus in der säkularen Volkskultur und Mentalität weiterlebt.

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SGP-Klientel sind die ultraorthodoxen bevindelijk Gereformeerden (Puritaner), die teilweise sogar die Impfung von Kindern als Eingriff in Gottes Vorsehung ablehnen. Die Tracht, die ihnen in säkularen Kreisen den Spottnamen "Schwarzstrumpfkirchen" einbrachte, ist in diesen Kreisen zumindest in den beiden jeweils zweistündigen Sonntagsgottesdiensten üblich. Frauen dürfen erst seit 2007 SGP-Mitglied werden, allerdings bis heute nicht für Volksvertretungen kandidieren.

Die politische Ausrichtung der Partei ist bibelbetont und konservativ. Es überrascht daher nicht, dass das Parteiprogramm mit der Familienpolitik startet. Die Partei steht für die Ehe und gegen nichteheliche Lebensgemeinschaften und Homoehe. Scheidungen sollen durch Hilfsangebote verhindert werden. Die Elternrechte sollen gestärkt werden. Härtere Gesetze verbunden mit Unterstützung und Hilfe für Angehörige soll Abtreibung und Sterbehilfe vermeiden.

Inzwischen macht sogar ein katholischer Priester wegen deren Haltung zum Lebensschutz Wahlkampf für die strengcalvinistische SGP, die noch vor nicht allzu langer Zeit scharf antirömisch war. Die Rolle Roms hat für die SGP jetzt der Islam angenommen. Sie fordert Zurückhaltung beim Moscheebau und setzt sich gegen Antisemitismus und für den Staat Israel ein. Europapolitisch plädiert die Partei für ein nachhaltiges Europa auf der Basis christlicher Werte. Kompetenzübertragungen an die EU sieht sie kritisch. Eine Aufspaltung des Euro und ein Stopp der Griechenlandunterstützung wären wünschenswert. Die Türkei sollte kein EU-Mitglied werden.

Innenpolitisch konservativ, sozialpolitisch links

Die anderen christlichen Parteien sind aufgrund der immer stärkeren Säkularisierung in den Niederlanden aus Vorgängern fusioniert. So ist die "Christenunie" (CU, fünf Sitze) aus zwei Vorgängern entstanden. Die Christenunie ist die Partei der etwas gemäßigteren orthodox-gereformeerden Strömung, in der auch Politikerinnen gleichberechtigt in den Parlamenten mitwirken. Sie war 2006 bis 2010 gemeinsam mit Sozialdemokraten und Christdemokraten (CDA) Regierungspartei in der Koalition des gläubigen Gereformerden Jan Peter Balkenende (CDA). In der Europakritik sind sich die beiden reformierten Parteien grundsätzlich einig. Auch die CU möchte Europa auf seine Kernaufgaben begrenzen.

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Auch in Bezug auf die innere Sicherheit ist die Partei konservativ und spricht explizit die Probleme mit marokkanischen und antilianischen Jugendlichen an, für die sie besondere Maßnahmen fordert. Allerdings soll Religionsfreiheit auch für Muslime gelten, heißt es im Wahlprogramm. Sozialpolitisch gibt es Berührungspunkte mit der Linken. So fordert die Partei ein höheres Kindergeld und die Aufhebung der Bewerbungspflicht für Alleinerziehende. "Grün und stark" soll die Wirtschaft sein, sagt die Christenunie. Dazu gehören im traditionellen Unternehmerland Niederlande Chancen für den Mittelstand sowie die Land- und Fischwirtschaft durch Steuersenkungen. Die Landwirtschaft soll durch nachhaltigen Anbau und tiergerechtere Stallungen ökologischer werden.

Und ein Rechtspopulist

Der größere Christen Democratisch Appell (CDA), das niederländische CDU-Pendant, ist 1974 aus einer Fusion zweier protestantischer mit der im Süden starken katholischen Partei entstanden. Die Partei gehört noch mit 21 Sitzen zusammen mit den Rechtsliberalen (VVD, 31 Sitze), Sozialdemokraten (31 Sitze) und der Freiheitspartei (PVV, 20 Sitze) des Rechtspopulisten Geert Wilders zu den vier Großen im Land und war lange stärkste Kraft. Programmatisch ist der CDA eine christdemokratische Partei europäischer Prägung, die im katholischen Süden bis zum Erscheinen der Wilderspartei unangefochten stärkste Partei war.

Der CDA ist auch ein sichtbares Zeichen, dass die "Versäulung" der niederländischen Gesellschaft längst aufgehoben ist, denn trotz Koalitionen untereinander war ein Zusammenschluss katholischer und protestantischer Parteien bis 1969 undenkbar. Katholiken, Protestanten und Säkulare hatten ihre eigenen Schulen, Gewerkschaften, Parteien, sogar Bäckereien, Ziegenzüchtervereine und Fußballclubs in streng getrennten "Säulen". Noch heute gilt das für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Heute ist der Glaube für immer weniger Menschen bei der Wahlentscheidung bestimmend, wie ein Rundfunkkommentator konstatiert. Auch in den säkularen Parteien sind inzwischen gläubige Christen vertreten. "Ich wähle PvdA", schreibt dann auch die Amsterdamer Studentenpfarrerin Ranfar Kouwijzer im Wahlblog der Nieuwe Kerk.

Christdemokraten wahrscheinlich in der Regierung

Eine Koalition mit der Linken lehnt CDA-Chef Sybrand Buma ab. Es dürfte also wieder auf eine Regierung aus Rechtsliberalen und CDA hinauslaufen, an der sich Linksliberale (D66), Christenunie oder auch die Wilders-Partei beteiligen dürften. Letztere ist allerdings wegen Wilders' radikalem Antiislamismus und seiner Haltung in der Europa- und Sozialpolitik ein schwieriger Partner, an dem das derzeit regierende Kabinett Marc Rutte (VVD) gescheitert ist.

Nach aktuellen Umfragen wird der CDA wahrscheinlich viertstärkste Kraft nach Rechtsliberalen, Sozialdemokraten und Sozialisten (SP). Die CU kann mit leichtem Zuwachs rechnen, die SGP bleibt konstant. Eine Linksregierung aus PvdA und SP ist wegen der populistischen und europakritischen Haltung der Sozialisten unwahrscheinlich, zumal neben den Grünen (Groen-Links) auch die Linksliberalen und/oder die Christenunie mit ins Boot müssten.