Für die Lutherbibel den Flammen getrotzt

Foto: epd-bild/Maik Schuck
Der Rokokosaal nach dem Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek: Etwa 50.000 Bücher und zahlreiche Kunstwerke wurden zerstört.
Für die Lutherbibel den Flammen getrotzt
In der Nacht vom 2. auf den 3. September 2004 brennt die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. Michael Knoche wird wider Willen zum Helden, als er aus dem brennenden Gebäude die Lutherbibel von 1534 rettet und dabei sein Leben riskiert. In den folgenden Monaten mobilisiert er die Öffentlichkeit und sammelt Spenden für den Wiederaufbau der Bibliothek. Warum er ausgerechnet dieses Buch gerettet hat, erzählt der Bibliotheksdirektor im Interview.

Welche Erinnerung haben sie an den 2. September 2004, als die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Flammen aufging?

Michael Knoche: Ich wurde gegen 20 Uhr 30 von einem Mitarbeiter verständigt, dass in der Bibliothek ein Brand ausgebrochen sei und bin dann sofort zur Unglücksstelle gekommen, ungefähr im selben Moment als auch die ersten Löschfahrzeuge eingetroffen sind. Von außen war zunächst bis auf eine Rauchsäule im Dach nicht viel zu erkennen. Die Feuerwehr hat die Unglücksstelle dann untersucht und gleich anschließend bekannt gegeben, dass es sehr schwierig sei, dieses Feuer noch einzudämmen. Da bekam ich weiche Knie. Bis zu diesem Moment hatte ich geglaubt, man könne die Situation in den Griff kriegen.

###mehr-personen###Wie ging es dann weiter?

Ab 20 Uhr 45 haben wir dann sofort mit der Evakuierung der Bücher und Kunstwerke im Rokokosaal begonnen. Der Brandherd lag im dritten Obergeschoss, daher konnte man im Rokokosaal (erstes Geschoss) zu diesem Zeitpunkt noch problemlos die Werke evakuieren.

Wann kam Ihnen die Lutherbibel in den Sinn und wo stand sie?

An die Lutherbibel habe ich zum ersten Mal gegen 22 Uhr gedacht, da hatten wir schon eine ganze Weile lang Bücher geborgen. Die Feuerwehr sagte, nun würde es zu gefährlich, und  beschloss, die Räumungsaktion zu beenden. Alle Zivilpersonen sollten das Haus verlassen. Das Gebäude wurde gesperrt. Da erst fiel mir die Lutherbibel ein, die auf der Galerie des Rokokosaals (zweites Geschoss) stand. Ich bin dann in Begleitung eines Feuerwehrmanns noch mal ins Haus gegangen und habe die Lutherbibel aus dem Haus geholt sowie das sogenannte Septembertestament und Dezembertestament von 1522. Beide Bibelausgaben Luthers sind genauso wertvoll wie die erste Gesamtausgabe von 1534.

Warum ausgerechnet diese Bibel?

Die Lutherbibel gehört zu den wertvollsten Büchern, die die Herzogin Anna Amalia Bibliothek seit Jahrhunderten verwahrt. Es ist zwar ein gedrucktes Werk, von dem etwa 50 weitere Exemplare in verschiedenen Bibliotheken der Welt stehen, aber unsere Ausgabe war besonders exquisit gedruckt und koloriert. Die Holzschnitte unserer Ausgabe sind besonders schön ausgemalt, und diese durchgehende und kraftvolle Kolorierung weisen die anderen Exemplare dieser ersten Gesamtausgabe der Lutherbibel nicht auf. Das war im übrigen auch der Grund, warum der Taschen Verlag im Jahr 2002, also noch vor dem Brand, einen Reprint von dieser Ausgabe hergestellt hat.

Die Luther-Bibel von 1534. Foto: Wikipedia/Torsten Schleese

Inwiefern ist die Lutherbibel ein Gesamtkunstwerk?

Insofern als die Aufteilung der Seiten, die Typographie, die Platzierung der Holzschnitte, die Qualität des Papiers und in unserem Fall auch des Einbandes, zusammen eine Einheit bilden. Alles ist aufeinander bezogen und gut durchdacht, und dadurch ist es eines der hervorragendsten Erzeugnisse der Buchdruckerkunst des frühen 16. Jahrhunderts. Und davon unabhängig besteht die philologische Bedeutung der Lutherbibel ja darin, dass Luther der erste war, der für seine Übersetzung auf den hebräischen und den griechischen Urtext zurückgegriffen hat. Der griechische Text des Neuen Testaments war kurz zuvor von Erasmus von Rotterdam revidiert worden und in einer wissenschaftlichen Ausgabe herausgekommen. Somit konnte Luther sehr viel textnäher übersetzen, als jeder andere deutsche Übersetzer vor ihm.

Die anderen Übersetzungen waren ungenau?

Es hat mehr als ein Dutzend deutsche Übersetzungen der Bibel vor Luther gegeben, aber sein Text ist aufgrund der richtigen Quellengrundlage besonders genau gewesen. Die anderen Bibeln hatten die Vulgata zugrunde gelegt, also die lateinische Version der Bibel. Eine solche Übersetzung der Übersetzung konnte nicht so präzise sein.

"Er hat jeden Gläubigen in den Stand versetzt, selbst direkt auf den Text und auf das Wort Gottes zuzugreifen."

Was ist denn das Protestantische an der Lutherbibel?

Ein wichtiges protestantisches Prinzip ist, überhaupt auf die Urtexte zurückzugreifen und sich bei der Übersetzung im Gegensatz zur katholischen Kirche nicht auf die kirchliche Tradition zu stützen. Er hat jeden Gläubigen in den Stand versetzt, selbst direkt auf den Text und auf das Wort Gottes zuzugreifen.

Gibt es Stellen in der Lutherbibel, die keine Eins-zu-eins-Übersetzung sind, sondern wo sich vielleicht eine politische Intention Luthers erkennen lässt oder ein satirischer Seitenhieb?

Die gibt es bestimmt, aber da habe ich kein Beispiel zur Hand.

###mehr-artikel###

Worin besteht die sprachschöpferische Leistung Luthers?

Man  muss sich vorstellen, dass die Ehrfurcht vor dem Wort Gottes in der Zeit vor Luther so stark war, dass frühere Übersetzer Wort für Wort übersetzt hatten. Sie haben den lateinischen Text genommen und diesen auch noch wortwörtlich übersetzt aus Angst, das Wort Gottes zu verfälschen. Luther hatte nicht nur eine andere Textgrundlage, sondern er wollte dem Volk "aufs Maul schauen“ und eine Sprache verwenden, die er als gesprochene Sprache in seiner Umwelt kennengelernt hatte. Das war neu. Er hat sich innerlich stark von der Vorstellung gelöst, das Wort Gottes dadurch zu verfälschen. Er hat Begriffe neu geprägt, die kein Schriftsteller bislang verwendet hatte. Worte wie "Feuereifer“ und "Denkzettel“ oder den Ausdruck "seine Hände in Unschuld waschen“ hat er zum ersten Mal verwendet und so sprachkräftige Bilder gefunden, die dann auch die Lektüre zu einem großen Vergnügen gemacht haben. Die Zeitgenossen haben sich in seinem Text wiedererkannt.

###mehr-links### Wie waren die Verbreitungswege damals, wer hat sich die Bibel gekauft, wie hat sich das herumgesprochen?

Der Vertrieb der Bibel ist hauptsächlich über die Leipziger Buchmesse erfolgt. Dort haben die Buchführer – der Begriff schließt Buchhändler und Verleger ein, die damals identisch waren – ihre Waren getauscht. Da ist dann der Verleger der Lutherbibel, Hans Lufft aus Wittenberg, aufgetreten und hat diese Bibel  im Tausch gegen andere Bücher vertrieben. Die Lutherbibel ist etwa in 3000 Exemplaren verbreitet worden, soviel weiß man aus verschiedenen Indizien. Für die damalige Zeit war das schon eine sehr hohe Auflage. Und die schnellen weiteren Auflagen deuten an, dass die Bibel ein großer Erfolg war.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte zum Urheberrecht: an der Lutherbibel wurde immer wieder gearbeitet und verändert im Laufe der Jahrhunderte. Verschwindet da nicht die Echtheit des Textes?

Das ist eine berechtigte Frage, aber auch eine, die sehr schwer zu beantworten ist. Wenn man den Lutherschen Text so stehen lässt, wie er von Luther geschrieben war, wird man ihn heute nicht mehr vollständig verstehen. Ein Laie, der sich mit der Sprache des 16. Jahrhunderts nicht auskennt, wird vielleicht 60 Prozent verstehen, der Rest bleibt ihm ein Rätsel. Daher gibt es schon eine Notwendigkeit, die Sprache anzupassen, wenn die Botschaft verstanden werden soll.

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Gibt es ein Buch das ähnlich Furore gemacht hat oder welchem Sie eine ähnliche Bedeutung zuweisen würden wie der Lutherbibel?

Die Lutherbibel ist ein ganz zentrales Sprachzeugnis für die deutsche Kultur generell. Abgesehen von der theologischen Bedeutung, die für die Christen maßgebend ist. Unter den Sprachzeugnissen gibt es im 16. Jahrhundert sicher nichts Vergleichbares. Vielleicht muss man bis zum "Faust“ Goethes vorangehen, um ein Buch von ähnlicher Wirkung wiederzufinden.

Mal angenommen, die Lutherbibel und das September- und Dezember-Testament hätten nicht in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek gestanden, welches Buch hätten sie denn dann gerettet?

Ich glaube, dann wäre ich nicht noch mal in das brennende Haus hineingegangen. Es war eigentlich zu gefährlich.