Sie schafften es vom Armenhaus zum Wachstumsmotor: Der Aufstieg von Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien zwingt die Industrienationen, ihre Entwicklungspolitik auf den Prüfstand zu stellen. Für Klaus Seitz, Leiter der Politik-Abteilung bei "Brot für die Welt", stellt sich zunächst die ethische Frage: "Ist es weiter unser Problem, die Armut in Ländern zu bekämpfen, die selbst über genügend Mittel dazu verfügen?"
Die alten Leitbilder, die fünf Jahrzehnte Entwicklungshilfe prägten, haben ausgedient, wenn sich Macht und Reichtum nach Süden verlagern. "Wir müssen Entwicklung neu denken", betonte Seitz auf der Entwicklungspolitischen Konferenz der evangelischen Kirchen und Werke, die mit über 100 Teilnehmern am Montag und Dienstag in Berlin tagte.
Die absolute Armut geht zurück
"Die Landkarte von Arm und Reich ändert sich radikal", erklärte Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn. Tiefgreifende Umbrüche wie der Aufstieg der Schwellenländer gebe es nur etwa alle 200 Jahre, fügte er hinzu und zog Parallelen zur Industriellen Revolution. Heute verlieren die Industrieländer ihre Dominanz. Machten Westeuropa und die USA in den 1970er Jahren noch über die Hälfte der Weltwirtschaft aus, wird es 2050 nur noch ein Drittel sein.
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Dabei geht die absolute Armut im globalen Maßstab zurück. Der Anteil der Menschen, die mit weniger als 1,25 Dollar am Tag auskommen müssen, halbierte sich zwischen 1990 und 2012 auf etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung. Das wirtschaftlich dynamische China erzielte dabei die größten Erfolge: Lebten 1985 noch 750 Millionen Chinesen in extremer Armut, sind es heute 250 Millionen von 1,3 Milliarden Bürgern. Zugleich wuchs die soziale Kluft.
Doch die Schwellenländer sind sehr unterschiedlich: In Indien profitierten die unteren 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung bisher so gut wie gar nicht vom wachsenden Wohlstand, wie Messner betonte. Der brasilianische Politologe Paulo Alfredo Schönardie sieht in seinem Land fast eine Halbierung der Armut im vergangenen Jahrzehnt auf heute 15 bis 20 Millionen Menschen.
"Es gibt auch schwarze Millionäre"
Ernüchterung dagegen in Südafrika, wo auch fast zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid die soziale Wende bislang ausbleibt. "Die Farbe der Eliten hat sich verändert, es gibt auch schwarze Millionäre", sagte der Entwicklungsexperte Renier Koegelenberg aus Stellenbosch.
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Entwicklungspolitik, die Armut weiter reduzieren will, brauche neue Ansätze, findet Messner. Da zwei Drittel der Menschen in extremer Armut in Schwellenländern leben - insgesamt 650 Millionen Männer, Frauen und Kinder - müssten die dortigen Eliten mit in die Pflicht genommen und Wachstumsmodelle zugunsten der Armen entwickelt werden. Am anderen Ende der Skala grassiert die Armut in schwachen, zerfallenden oder vom Krieg zerrütteten Staaten wie Haiti oder dem Kongo, die auf ihre Situation zugeschnittene Konzepte brauchten.
Das rasante Wachstum in China, Indien und Brasilien hat seinen Preis: Der Raubbau an der Natur ist enorm. So sehen es Entwicklungspolitiker als eine der größten Herausforderungen an, weltweit ökologisch umzusteuern, Wälder, Böden und Gewässer zu schonen, Energie und Rohstoffe zu sparen. "Der Wachstumspfad ist nicht nachhaltig", sagte Messner. Die Umweltzerstörung bringe neue Armutsrisiken.
Umweltzerstörung führt zu Armut
Auch wenn die Dynamik in China und Indien stark beeindruckt, mahnt Chee Yoke Ling, Direktorin des Third World Network in Malaysia zu einem genaueren Blick: In vielen Schwellenländern sei die Wirtschaft noch nicht sehr stabil, sondern krisenanfällig, sie stütze sich stark auf hohe Rohstoffpreise und Exporte. Zudem sei das Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland und den USA immer noch etwa neun Mal so hoch wie in China und fünf Mal so hoch wie in Malaysia.
Die Entwicklungspolitische Konferenz stand unter dem Bibelwort "Euer Überfluss diene ihrem Mangel" (2. Korinther 8). So ist es für die Kirchen denn auch eine Frage der Gerechtigkeit, weiter mit armen Gemeinden in China, Indien und Südafrika zusammenzuarbeiten. Doch es gibt Überlegungen, auch dort bei den Wohlhabenderen Mittel für die Entwicklungsarbeit zu mobilisieren.