Den Begriff "Toleranz" als zentrales Wort der Lutherdekade der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in diesem Jahr sieht Koschnick allerdings kritisch. "Respekt ist für mich das bessere Wort", sagte er.
Respekt bedeute Augenhöhe
In Gesellschaft und Kirchen sei das Wort Toleranz als Herrschaftsbegriff gar zu leicht missbraucht worden, bilanzierte der ehemalige Bundestagsabgeordnete und EU-Administrator im bosnischen Mostar. "Das hieß dann in aller Regel: Die Mehrheit duldete eine abweichende Meinung der Minderheit." Oben sei entschieden worden, ob etwas noch tragbar gewesen sei oder nicht. Respektieren bedeute, auf Augenhöhe miteinander zu reden, denn niemand habe die Wahrheit gepachtet.
Allerdings habe es Respekt in einem gesellschaftlichen Klima der Angst schwer. Deshalb müssten Staat, Kirchen und Gesellschaft gemeinsam daran arbeiten, Zukunftsängste zu überwinden, indem für jeden Menschen Perspektiven geschaffen würden, "auch wenn das Leben ganz ohne Angst nicht geht". Und jeder Einzelne müsse sich fragen, ob er das lebe, was er sage. "Das ist nicht eine Frage nach draußen, sondern nach innen."
Beurteilen statt verurteilen
In persönlichen Konflikten etwa in der Familie, in der Partnerschaft oder am Arbeitsplatz komme es darauf an, nicht zu verurteilen, sondern zu beurteilen. Koschnick pochte in diesem Zusammenhang erneut auf eine offene Erziehung, die dafür die Grundlagen schaffen müsse. Ein Streit müsse auf der Sachebene bleiben - auch im Verhältnis der Religionen zueinander. "Wichtig, ist, dass wir uns öffnen für Entwicklungen. Das ist eine Grundvoraussetzung für Respekt. Egal, ob der eine nun Allah sagt und der andere Jahwe."
Koschnick war einst Deutschlands jüngster Ministerpräsident. Er engagierte sich als politischer Brückenbauer, trug zur Versöhnung mit Israel und Polen bei und lenkte als EU-Gesandter den Wiederaufbau in Mostar.
Die EKD hat 2013 zum Themenjahr "Reformation und Toleranz" der Lutherdekade erklärt. Die Dekade führt auf das Reformationsjubiläum 2017 zu. Martin Luthers (1483-1546) Thesenanschlag von 1517 in Wittenberg gilt als Ausgangspunkt der Reformation, aus der die protestantischen Kirchen hervorgegangen sind.