Gutachter: Amokläufer Tim K. hatte "leichte Persönlichkeitsstörung"

Gutachter: Amokläufer Tim K. hatte "leichte Persönlichkeitsstörung"
Der Tübinger Kinder- und Jugendpsychiater Michael Günther attestiert dem Amokläufer von Winnenden, Tim K., eine leichte Persönlichkeitsstörung. In seinem am Montag vor dem Stuttgarter Landgericht vorgestellten Gutachten sagte Günther, dass es in Deutschland 50.000 bis 100.000 Personen dieses Alters mit vergleichbaren Merkmalen gebe. Daraus hätte man nicht ableiten können, dass es zu einer Serientötung kommt.

Der Mediziner wies darauf hin, dass sich Tim in den Monaten vor der Tat "sadomasochistische Pornos der härteren Art" angeschaut habe, wie eine Auswertung von mehr als 400 Dateien auf seinem Computer ergeben habe. In den Videos seien überwiegend Männer gequält worden, auf den Fotos auch Frauen. Vermutlich sei Tim extrem beschämt über sein Interesse an solchen Bildern gewesen, was zu verstärkter Aggression und Selbstaggression geführt haben könnte. Das Betrachten sadomasochistischer Darstellungen sei ein Mosaikstein in Tims gesellschaftlicher Isolierung, aber kein Schlüssel zum Verständnis der Tat, betonte Günther.

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Zur Besonderheit der psychischen Krankheit gehöre allerdings, dass Tim Zugang zu Waffen gehabt habe. Das gelte für andere Menschen mit ähnlichen Störungen nicht. Andererseits habe er seine Gewaltphantasien, die er 2008 bei Untersuchungen in einem Klinikum in Weinsberg bei Heilbronn bekannt habe, durch Computerspiele zu bekämpfen versucht. Nach außen sei er vor der Tat nie aggressiv aufgetreten. Grundlage für Günthers Gutachten war eine Akte aus dem Klinikum Weinsberg, Vernehmungen der Eltern sowie Chatprotokolle von Tims Schwester im Internet. Die Weinsberger Ärzte hatten eine "soziale Phobie" diagnostiziert.

Der Schützenverein als soziale Stütze?

Im Prozess gegen den Vater des Amokläufers wurde zudem das Protokoll vorgelesen, mit dem sich eine psychosoziale Betreuerin der Eltern auf das erste Strafverfahren vorbereitet hatte. Die Kriseninterventionshelferin beschreibt darin eine Bemerkung der Eltern kurz nach der Tat, wonach Tim in Weinsberg von seinem "Hass auf die ganze Welt" gesprochen habe. In einem späteren Gespräch habe er diese Gefühlslage allerdings wieder in Abrede gestellt. Die Ärzte hätten lediglich Therapiestunden empfohlen, die der Jugendliche allerdings verweigerte.

Alternativ habe ihn der Vater mit in den Schießverein genommen. Der als zurückgezogen und einsam beschriebene Tim habe dort weniger Interesse am Schießen gezeigt, sich aber am Zusammensein nach den Übungsstunden gefreut, notierte die Kriseninterventionshelferin.

Die Rolle dieser Betreuerin wurde vor Gericht noch einmal ausgiebig erörtert. Für das Gericht ist ihre Aussage von besonderem Gewicht, weil sie den Verdacht erhärtet, die Eltern von Tim K. hätten vor der Tat von den Tötungsphantasien ihres Sohnes wissen können. Das könnte eine erneute Verurteilung des Vaters wegen fahrlässiger Tötung zur Folge haben.

Vater: Klinik hat uns nicht ausreichend informiert

Der Vater wiederum droht mit einer Zivilklage gegen das Weinsberger Klinikum, da es die Eltern über die Gefahrenlage nicht angemessen informiert habe. Der Vater muss sich seit dem 14. November wegen eines Verfahrensfehlers im ersten Prozess zum zweiten Mal vor Gericht verantworten.

Der 17-jährige Tim K. hatte mit der Waffe und Munition seines Vaters am 11. März 2009 in seiner ehemaligen Schule in Winnenden bei Stuttgart neun Schülerinnen und Schüler sowie drei Lehrerinnen erschossen. Auf der Flucht tötete er drei weitere Menschen, bevor er sich selbst das Leben nahm. Sein Vater Jörg K. hatte die Mordwaffe unverschlossen aufbewahrt. Im Februar 2011 wurde der ehemalige Unternehmer wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und wegen fahrlässiger Tötung zu 21 Monaten auf Bewährung verurteilt.