Das alte Holz knarzt unter jedem Schritt. In den stillen Raum von Deutschlands größter Holzkirche dringt ein leichtes schabendes Geräusch: Draußen schleifen Handwerker die Kirchenwände in einer aufwendigen Sanierung mit der Hand, um sie später wieder in ihrer ursprünglich blauen Farbe erstrahlen zu lassen. Die evangelische "Marktkirche zum Heiligen Geist" in Clausthal-Zellerfeld im Harz ist eines von 7.500 Kulturdenkmälern, das unter dem Motto "Holz" am 9. September zum bundesweiten "Tag des offenen Denkmals" seine Türen öffnet.
Erstmals stehe in der 19-jährigen Geschichte ein Baustoff im Mittelpunkt der Veranstaltung, sagt Carolin Kolhoff von der Stiftung Denkmalschutz in Bonn. Am Denkmalstag, der in den vergangenen Jahren jeweils rund vier Millionen Besucher anlockte, werden oft Gebäude zugänglich gemacht, die sonst nicht besichtigt werden können. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) wird den Tag in Bremen eröffnen.
Strichmännchen sind die Graffitis von damals
In der Marktkirche spannt sich über dem 1.400 Quadratmeter großen, lichtdurchfluteten Innenraum ein rundes Gewölbe aus hell gestrichenem Holz. Nur wer ganz genau hinsieht, entdeckt die Strichmännchen und Kinderzeichnungen unten an der Wand. "Das sind die Graffitis der damaligen Zeit", erklärt Restaurationsleiter Bernd Gisevius. Gelangweilte Konfirmanden müssen sie während des Gottesdienstes hineingeritzt haben.
###mehr-links### Die Clausthaler Bergleute haben sich, durch den Abbau von Silber reich geworden, mit der Marktkirche im 17. Jahrhundert einen Prestigebau errichtet. Wie aus Stein sollte die Architektur majestätisch auf dem großen Marktplatz wirken. Denn geeignete Steine für den Bau waren in der Region nicht vorhanden. Deshalb hatte die Kirche nach ihren Anfangsjahren in blauer Farbe lange Jahre einen grauen Anstrich. Ganze Wälder seien für den Kirchbau abgeholzt worden, sagt Gisevius. Allein der Turm ist aus 56 Tonnen Holz gebaut.
Wie aus Stein wirken auch die glänzenden Säulen und Figuren am Altar, der bis zur Orgelempore reicht. Doch auch sie sind aus Holz, zunächst aufwendig geschnitzt und später bemalt. Heute würde eine solche Anschaffung Millionen kosten, sagt Gisevius: "Dies ist Kunst auf oberstem europäischem Rang und ein Wunderwerk technischer Holzkonstruktion."
Alles darf abbrennen - nur die Kirche nicht
Im Laufe der Jahrhunderte habe sich besonders der Innenraum ständig verändert. So wurde das Deckengewölbe angesägt, um eine zweite Empore einzubauen, erzählt Gisevius. Als kleiner Junge sei er das erste Mal an Weihnachten 1945 in die mit rund 2.000 Menschen gefüllte Kirche getreten. "Das war überwältigend." Seit einigen Jahren engagiert sich der heute 71-Jährige gemeinsam mit dem Kirchenvorstand ehrenamtlich für den Erhalt des Gebäudes.
Schon vor ihm haben sich die Bewohner Clausthals immer wieder für ihre Kirche eingesetzt. "Menschen haben während Brandkatastrophen ihre Häuser abbrennen lassen, um die Kirche zu retten", erzählt Gisevius. Die letzte Kirchensanierung für mehr als zehn Millionen Euro begann vor zehn Jahren. Nun soll der Bau von außen mit hochwertiger schwedischer Leinölfarbe in der blauen Symbolfarbe des Heiligen Geistes wie vor fast 400 Jahren gestrichen werden.
Ohne Holz hätten wir uns ganz anders entwickelt
Carolin Kolhoff von der Denkmalstiftung betont, dass gerade die geschichtliche Vielfalt des Baustoffes Holz von der vorchristlichen Zeit bis heute das Motto des Denkmaltages so interessant mache. "Wenn es keine Baumstämme geben würde, weiß ich gar nicht, wo wir heute in der Entwicklung wären." Die ganze Bandbreite von historischen Fachwerkbauten bis hin zu modernster Technik, die das Alter von Holz ermittelt, können die Besucher am 9. September selbst erleben.
Im rheinland-pfälzischen Bingen wird ein mehr als 500 Jahre alter funktionstüchtiger Kran aus Eichenholz gezeigt. Im sächsischen Dresden öffnet das Landesamt für Archäologie seine Türen und erklärt Besuchern, wie historische Holzfunde konserviert werden. Auch das Bonner Orgelbauunternehmen Castell lädt zur Besichtigung seiner Werkstätten ein. In Hamburg ist der älteste Umlagerschuppen für Werkzeuge und Lebensmittel von 1827 zu sehen, und im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in München wird erläutert, wie das Alter von Holz genauestens per Radiokarbonmethode bestimmt werden kann.
Die Marktkirche im Harz zählt neben Fachwerkkirchen oder sogenannten Notkirchen, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, zu den wenigen erhaltenen Holzkirchen Deutschlands. Der Bau, der lange Zeit als "größte Holzbude Deutschlands" verkannt wurde, gilt mittlerweile als europaweites Vorbild seiner Zeit, erläutert Restaurationsleiter Gisevius. Seit 2005 ist die Kirche ein Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung.