Es wurde noch einmal richtig kalt gegen Ende der Adventszeit, vor fünf Jahren. Zum Glück hatten wir unseren Weihnachtsbaum schon besorgt – für das erste Weihnachtsfest in der eigenen kleinen Familie. Er stand jetzt in seinem Wassereimer auf dem Balkon und wartete – wie wir. Errechneter Geburtstermin war eigentlich der 15. Dezember, aber als unsere Tochter dann endlich das Licht des Kreißsaals erblickte, war es 11.30 Uhr am 22.12.2007. Da lag schließlich das, was man einen 'Not-Kaiserschnitt' nennt, hinter uns und unter anderem zwei schlaflose Nächte. Aber, gottseidank: Mutter wohlauf, Kind wohlauf!
Irgendwann wurden dann auch Babybett und 'Krankenbett' in unser sogenanntes Familienzimmer geschoben. Endlich für sich sein, endlich etwas essen, ein Tee. Nicht so unsere Tochter: Sie wollte einfach nicht trinken – sofort kamen also die nächsten Sorgen. In der folgenden Nacht sollte sich auch zeigen, warum: Ihr ganzer Magen war gefüllt bis oben hin mit Fruchtwasser, das das Kind unter der Geburt geschluckt hatte. Und das erbrach es jetzt. Die ganze Nacht hindurch, die dritte ohne Schlaf.
Ein Weihnachtsbäumchen am Ende des Gangs
Als am nächsten Morgen die Stationsschwester das Zimmer enterte, war uns nicht bewusst, dass Weihnachten direkt vor der Tür stand. Das merkten wir erst, als die ersten Besucher herein schneiten: Schwester und später Oma aus dem hohen Norden – ja, klar, sie waren ja wegen Weihnachten hier. Und da vorne, am Gangende, stand da nicht auch ein kleines Weihnachtsbäumchen? Egal, zumindest in meinem Kopf verdrängte ein Gedanke erstmal alles andere: 'Schlaf!'
Den sollte ich dann in der nächsten Nacht, wenigstens für ein paar Stunden, bekommen. Und dann war Heiligabend – und so viel zu erledigen. Nein, keine Geschenke einpacken: Erst einmal war Sprechstunde zum Anmelden des neuen Erdenbürgers, unten im Büro im Eingangsbereich.
Schließlich müssen ja Geburtsurkunden beantragt werden. Dann kam der Kinderarzt auf Station: U 1 – die erste der Pflichtuntersuchungen stand an. Dann auch gleich der erste Hörtest. Zwischendurch ein Wickelschnellkurs. Nein, auf keinen Fall an einem Beinchen hochheben, um den Popo zu säubern. Und die nächste Entscheidung: Ein Pilotprojekt für ein Screening zur Früherkennung von Erbkrankheiten. Wollen wir mitmachen? Ja. Dafür muss aber Blut abgenommen werden – gar nicht so einfach bei einem Neugeborenen. Das Füßchen muss angewärmt werden, damit das Blut besser zirkuliert. Wie spät ist es eigentlich…? Es wird ja schon dunkel. Ist heute nicht Heiligabend…? Wann wohl ein Gottesdienst ist in der Nähe vom Krankenhaus? Zumindest ich bin ja mobil…! Tja, das wird aber jetzt viel zu knapp. Aber dann, wenigstens schnell ein Stockwerk tiefer, in die Klinik-Kapelle – schließlich ist das ein katholisches Krankenhaus, gegründet von einer Ordensschwester. Es heißt ja auch "Marienkrankenhaus", wie passend…
Gottesdienstbesucher im Bademantel
Und so kam ich so knapp wie noch nie in einen Gottesdienst am heiligen Abend. Noch nie habe ich außerdem mit einer so kleinen Gemeinde diesen Gottesdienst gefeiert, viele der vielleicht ein Dutzend zählenden Besucher außerdem in Bademantel oder zumindest Pantoffeln. Und während der Priester die mir doch relativ fremde katholische Liturgie abhielt, versank ich in meinen Gedanken. Ich kam zur Ruhe. Endlich.
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Und mir wurde klar, was hier eigentlich passiert war: Wir feierten gerade die Geburt von Jesus Christus. In ihm war Gott als winzig kleines, verletzliches Kind geboren und Mensch geworden, um die Welt zu ändern, alles neu zu machen. Genau so klein und verletzlich wie mein Kind, das gerade erst geboren worden war. Und das meine kleine Welt schon so komplett verändert hatte. Nie zuvor und nie danach konnte ich so stark nachempfinden, welche Bedeutung und Kraft diese Weihnachtsbotschaft hat. Dann bemerkte ich die junge Mutter, zwei Bänke weiter, die ihr Kind kurz nach uns zur Welt gebracht hatte. Sie weinte hemmungslos.
Als ich zurück auf die Entbindungsstation kam, hatte ich das Gefühl, dass die Anspannung endlich etwas nachgelassen hatte und die Sorgen etwas leichter geworden waren. Und plötzlich strahlte mir meine Frau entgegen: "Sie hat getrunken!" Was für eine Bescherung. So merkwürdig es klingen mag: In diesem Moment konnte ich mir kaum ein schöneres Geschenk vorstellen.
Lamm und Stilltee
Und anschließend stand zur Feier des Tages Lamm auf der Speisekarte – für Krankenhausessen gar nicht schlecht. Außerdem harmonierte es mit seinem kräftigen Geschmack wenigstens einigermaßen mit dem Stilltee und seinem Kümmel-Anis-Fenchel-Aroma, den ich aus Solidarität mittrank. Im Schwesternzimmer wurde übrigens auch gefeiert. Dort hatte man aber Pizza für alle bestellt.
Den Weihnachtsmorgen begingen wir dann richtig… nun ja, festlich: Geduscht, mit Kaffee (zumindest für mich) und Ludwig Güttlers Interpretation von Bachs "Herrscher des Himmels" - aus dem Ipod. Und neben dem kleinen Tisch in unserem Zimmer an diesem eisgrauen Morgen lag unser kleines Weihnachtswunder und schnaufte ganz leise im Schlaf.
Ganz und gar Weihnachten
Ja, wir könnten nach Hause, hieß es später - weil ja Weihnachten wäre - aber auf eigenes Risiko. Aber wir müssten auf jeden Fall dann gleich am 27. die U 2 bei einem Kinderarzt machen lassen. Auf dem Weg nach draußen warf ich noch einmal einen Blick auf den kleinen Weihnachtsbaum im Gang. Ach ja, zuhause wartete ja auch noch ein Baum auf uns, in seinem Eimer auf dem Balkon. Jetzt hatten wir aber erstmal anderes zu tun.
Und doch, bevor es dunkel wurde, holte ich unseren Baum noch nach drinnen. Natürlich war er mittlerweile in seinem Eimer festgefroren. Als ich den großen Eisklumpen aus dem Plastik löste, brach der auf und ein Bach kaltes Wasser ergoss sich aus seinem Inneren auf das Parkett. "Das hat gerade noch gefehlt", dachte ich. Und dann merkte ich: Eigentlich hatte gar nichts gefehlt - weder Gans noch Plätzchen, weder Geschenke, noch "Der kleine Lord" im Fernsehen. Für uns war es ganz und gar Weihnachten, auch und gerade im Jahr 2007…!