Gewalt, die im Namen der Ehre verübt werde, beruhe auf einer falschen Auslegung des Islam, sagte Kizilhan am Donnerstag in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst: "Gerade von den neuen islamischen Eliten erwarte ich eindeutige Stellungnahmen."
Der aus der Türkei stammende Kizilhan ist vom Landgericht Osnabrück zum Gutachter im aktuellen Prozess um den Mord an einer jungen Frau bestellt. Die Staatsanwaltschaft stufte den Fall als sogenannten Ehrenmord ein. Angeklagt sind der Vater und der Ehemann, die beide die türkische Staatsangehörigkeit besitzen. Der Prozess wird an diesem Donnerstag fortgeführt.
Nicht unser heutiges Verständnis von Menschenrechten
Das Phänomen des Ehrenmordes sei eine Verhaltensweise, die eigentlich aus den Frühzeiten des Islam stamme, sagte der Wissenschaftler. Sie beruhe darauf, dass der Mann seine Frau als Besitz betrachte, der nicht von anderen beansprucht werde dürfe. Bei Zuwiderhandlung müssten der Mann und die Familie die Ehre wieder herstellen. Dazu sei auch Gewalt bis hin zur Tötung erlaubt. Diese Regeln hätten sich über Jahrtausende in der Gesellschaft festgesetzt.
Manche islamische Geistliche bewerteten bis heute diese Form der Ehre als religiös und gäben dies an die Gläubigen weiter, sagte Kizilhan. Hinzu komme, dass vielen Muslimen aus ländlichen Gegenden der Koran nur aus zweiter Hand bekannt sei.
Ehrenmorde seien auch nicht mit individuellen Familiendramen etwa aus Eifersucht zu vergleichen. Denn sie beruhten zu 95 Prozent über Jahrhunderte hindurch auf den gleichen Denkstrukturen. Hinzu komme, dass die islamische Gesellschaft einen sozialen Druck ausübe und sich nach der Tat mit dem Täter solidarisiere. Zwar sei auch der Koran nicht frei von Gewaltszenarien. Das treffe allerdings auch auf das Alte Testament der Bibel und auf Schriften anderer Religionen zu: "Die schriftlichen Quellen stimmen - wenn man sie wörtlich versteht - fast nie mit unserem heutigen Verständnis von Menschenrechten überein."