In den 20er Jahren galt Gerhart Hauptmann (1862-1946) als der literarische Repräsentant Deutschlands schlechthin. Nicht zufällig nannte ihn sein junger Kollege Klaus Mann den "Hindenburg der deutschen Literatur". Tatsächlich war dem Dichter in den 1920er Jahren das Amt des Reichspräsidenten angetragen worden. Er lehnte ab. Auch trat er nie einer Partei bei. Doch Hauptmann, geboren vor 150 Jahren am 15. November 1862 im niederschlesischen Obersalzbrunn, war ein Meister des politischen Lavierens. Ob wilhelminisches Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazi-Diktatur oder Sowjetbesatzung - er wollte es sich mit niemandem verderben.
###mehr-artikel###Gleich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten unterzeichnete er eine Loyalitätserklärung der Preußischen Akademie der Künste. Schon 1905 war Hauptmann auch eines der ersten Mitglieder der Berliner Sektion in der Gesellschaft für Rassenhygiene. Dennoch sucht man die NS-Ideologie in seinem Werk vergebens.
Im Gegenteil: "Wenn ich diese beiden Sauf- und Pennbrüder auf der Straße treffen würde, dann würde ich sie kurzerhand dem Reichsführer SS übergeben. Sie gehören ins KZ, aber nicht auf die Filmleinwand", soll Reichspropagandaminister Joseph Goebbels gesagt haben, als er 1937 die Verfilmung der Hauptmann-Komödie "Schluck und Jau" verbot, in der Heinrich George, Intendant des Schiller-Theaters, für die Rolle des Schluck vorgesehen war.
Sex und Alkohol auf der Bühne
Solche Reaktionen war Hauptmann gewöhnt. Schon Kaiser Wilhelm II. hatte die kaiserliche Loge gekündigt, als das Deutsche Theater es 1893 wagte, "Die Weber" uraufzuführen, mit dem der Dramatiker Weltruhm erlangte. Mit diesem Stück über den Weberaufstand von 1844 hatte Hauptmann zugleich den Höhepunkt seines naturalistischen Schaffens erreicht. Begonnen hatte es 1889 mit der Uraufführung des Sozialen Dramas "Vor Sonnenaufgang" durch Otto Brahms Freie Bühne im Berliner Lessing-Theater.
Sexualität und Alkoholismus auf offener Bühne - es war ein Skandal, der die Karriere des Studienabbrechers Hauptmann befeuerte. Schon auf der Realschule in Breslau musste der kränkelnde Hauptmann die erste Klasse wiederholen. Auf dem Gutshof eines Onkels zog er sich ein chronisches Lungenleiden zu. Die mittlere Reife schaffte er nicht, versuchte sich aber in der Bildhauerklasse der Königlichen Kunst- und Gewerbeschule Breslaus.
Marie Thienemann, reiche Kaufmannstochter aus Radebeul und Schwester seiner Schwägerin, finanzierte ihm weitere Studien: Philosophie und Literaturgeschichte an der Universität Jena, eine Studienreise nach Rom, ein Zeichenstudium an der Königlichen Akademie in Dresden und ein Geschichtsstudium in Berlin. 1885 heirateten sie und Hauptmann. Auf der Hochzeitsreise lernte Hauptmann die Insel Hiddensee kennen, die später seine zweite Heimat wurde.
Familienprobleme
Vorerst ließ er sich mit Marie östlich von Berlin in Erkner nieder. Als Vater dreier Söhne machte er 1893 Margarete Marschalk zu seiner Geliebten. 1904 folgte die Scheidung, da war Benvenuto, sein vierter Sohn, vier Jahre alt. Seit 1901 wohnte Hauptmann mit seiner neuen Familie im Haus "Wiesenstein" im schlesischen Agnetendorf. Eine Liaison mit der Schauspielerin Ida Orloff stürzte auch die zweite Ehe vorübergehend in eine Krise. Sein Glashüttenmärchen "Und Pippa tanzt" zeugt von diesem Konflikt.
Es belegt auch, dass sich Hauptmann nach seiner naturalistischen Phase ("Einsame Menschen", "Der Biberpelz", "Rose Bernd") nun symbolistischen Themen zuwandte. "Hanneles Himmelfahrt" vereint beide Tendenzen. "Die versunkene Glocke" gehörte zu seinen erfolgreichsten Stücken überhaupt. Später kehrte er mit seiner Tragikomödie "Die Ratten" (1911) und dem Schauspiel "Vor Sonnenuntergang" (1932) zu den sozialen Stoffen zurück.
Dramatiker für die sozial Entrechteten
Der vielfache Preisträger war 1912 auch mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden. Vor allem die Sowjetunion schätzte den wohlhabenden Dramatiker der sozial Entrechteten. Ihrem Schutzbrief verdankte der greise Dichter, dass er am 6. Juni 1946 auf seinem geliebten "Wiesenstein" sterben durfte, bevor ihn die polnische Regierung ausweisen konnte. "Bin ich noch in meinem Haus?", soll er zuletzt gefragt haben.
Mit einem Sonderzug überführten die Russen den Leichnam in die sowjetische Besatzungszone. Eingekleidet in eine Franziskanerkutte wurde Hauptmann auf Hiddensee beigesetzt. Heute ist sein Haus in dem Inselort Kloster als Gedenkstätte eingerichtet - wie der "Wiesenstein" im polnischen Jagniatków, der lange ein Kinderheim beherbergte. In Erkner erinnert ein Museum an den Dichter.