"Die essbare Stadt" am Rhein

Foto: epd-bild/Lothar Stein
Das Rheinstädtchen Andernach hat sich seit drei Jahren dem Motto "Die essbare Stadt verschrieben". Im ersten Jahr wuchsen mehr als 100 unterschiedliche Tomatensorten, im zweiten Bohnen und in diesem Jahr vor allem Zwiebeln und Kartoffeln.
"Die essbare Stadt" am Rhein
Neben der Stadtmauer von Andernach liegt ein kleines Paradies. Anders als im Märchen vom Schlaraffenland wächst den Bürgern Obst und Gemüse nicht direkt in den Mund - doch wer hier herkommt, darf alles ernten, ohne zu zahlen.
28.07.2012
epd
Marlene Grund

Das Rheinstädtchen Andernach hat sich seit drei Jahren dem Motto "Die essbare Stadt" verschrieben. Ganz dicht an der wuchtigen Stadtmauer aus dem 12. Jahrhundert leuchten Gärten mit Stauden und buntem Sommerflor, dazwischen behaupten sich Brunnenkresse und Weinreben, Mandel- und Feigenbäume, Salatköpfe, Zucchini und Zwiebeln. Der 800 Quadratmeter große Nutzgarten gehört der Stadt und ist offen für alle. "Statt 'Betreten verboten' heißt es bei uns ausdrücklich 'Pflücken erlaubt'", sagt Barbara Vogt, Verwaltungschefin im Rathaus und eine der Initiatorinnen des Projekts.  

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Während in anderen Städten Gärtner-Guerilleros nachts heimlich Brachflächen bepflanzen, geschieht das in Andernach bei Tag, mit Billigung des Stadtrates und mit Geldern aus dem Steuersäckel. "Wir wollen öffentliche Flächen an die Bürger zurückgeben", sagt die Juristin.  Im ersten Jahr wuchsen mehr als 100 unterschiedliche Tomatensorten, im zweiten Bohnen und in diesem Jahr vor allem Zwiebeln und Kartoffeln. Die sorgsam gepflegten Nutzpflanzen fügen sich erstaunlich gut in die Ästhetik eines öffentlichen Parks. Auf einmal fällt die Schönheit eines Wirsings auf, wirken die Stangenbohnen auf dem Rasen wie eine bewachsene Skulptur.

 "Stammkunden" versorgen sich mit Zucchini

Zu den "Stammkunden", die sich regelmäßig in der Innenstadt mit ökologisch angebauten, knackfrischen Salaten und Zucchini versorgen, gehört der Goldschmied Thomas Manz. Der Hobbykoch schätzt den Geschmack des Gemüses, der nicht mit Supermarktware zu vergleichen sei. Auch multikulturell geht es beim Ernten zu: Türkische Frauen pflücken schon mal die Blätter der Weinreben, während die Andernacher auf die reifen Trauben warten. Keine "Gemüsepolizei", passt auf, wer sich bedient. Fürs nächste Jahr plant die Stadt sogar eine Freiluftküche, um Anregungen zu geben, welche Köstlichkeiten sich aus Kohl, Kohlrabi und Karotten zubereiten lassen.

Wenn Oberbürgermeister Achim Hütten (SPD) vom "Blühraum Andernach" spricht, hat er neben der neuen Bepflanzung auch das Engagement seiner Mitarbeiter im Blick, die sich für das "essbare Andernach" ins Zeug legen. Dabei war zu Anfang die Skepsis groß, ob ein solches Modell nicht zwangsläufig in Vandalismus enden müsse oder der Graben an der Stadtmauer nicht doch weiterhin als Hundeklo genutzt werden würde.

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Doch Achim Hütten kann fast ausschließlich Positives berichten: Zertrampelt wurde noch nichts, und die Hundebesitzer sorgten dafür, dass die Hinterlassenschaften ihrer Tiere nicht in die Beete gelangen. "Wenn etwas gepflegt ist, bekommen die meisten Menschen Respekt", so seine Erfahrung. 

Zehn Bürgerarbeiter pflegen die Anlagen

Für die Pflege der städtischen Anlagen sind zehn Bürgerarbeiter zuständig. Sie identifizieren sich mit einer Arbeit, die sie für sinnvoll halten, berichtet Barbara Vogt: "Einige gießen sogar freiwillig am Wochenende die Gemüsebeete".

Zusätzlich beschäftigt die kommunale gemeinnützige Gesellschaft "Perspektive" noch 20 Arbeitskräfte im Bereich der "Permakultur", einem knapp acht Hektar großen Idyll vor den Toren der Stadt, das mit Hilfe des Südwestrundfunks realisiert wurde. Auf dem kommunalen Gelände wachsen Blumen, Obst, Kräuter und Gemüse, weiden Schafe und Ziegen. Schweine fressen die Abfälle.

Es gibt einen Grillplatz, Feuerstellen und Sitzgruppen mit weitem Blick in die Rheinebene. Auch dieses Gelände ist für alle jederzeit frei zugänglich, nur werden hier Obst und Gemüse zu Marktpreisen verkauft.

Andere Kommunen schicken Delegationen

Die neue Lust am Gärtnern bringt es mit sich, dass andere Kommunen regelmäßig Delegationen an den Rhein schicken, um von den Pionieren in Andernach Anregungen zu erhalten. So haben auch die "Freunde der Bundesgartenschau" aus Koblenz geprüft, ob sich das Modell übertragen lasse. Deren Vorsitzender, Hans-Dieter Gassen, lobt nach einem Rundgang "die Kreativität der Andernacher".  

Von dieser Kreativität lassen sich viele Bewohner anstecken, die in ihren eigenen Gärten mitmachen oder in der Innenstadt Rosenstöcke vor die Läden pflanzen. Barbara Vogt deutet auf Grünflächen, wo in den nächsten Jahren Sommerflor und Stauden wachsen sollen."Das erspart 75 Prozent des Pflegeaufwandes", rechnet Bürgermeister Hütten vor. Seine Vision geht noch weiter: Nach und nach sollen die Bewohner für die Pflege der "essbaren Stadt" Sorge tragen.

Das Andernacher Modell lässt sich nach Auffassung von Bürgermeister und Verwaltungschefin auch anderswo umsetzen. Ihr Fazit: "Nachahmung dringend empfohlen".