"In zehn Minuten machen wir uns auf den Weg zur Bild-Redaktion", sagt Jahn, Aktivist von Occupy Frankfurt. "Wir sind schon mal neun, zehn, elf" – der Mann mit Dreadlocks und blauem, ausgewaschenen T-Shirt zählt die anderen Aktivisten, die sich um ihn herum versammelt haben. Die Gruppe steht direkt vor dem Hauptgebäude der Europäischen Zentralbank, mitten in ihrem Camp in Frankfurt am Main. Seit Oktober wird hier aus politischem Protest gegen den Finanzkapitalismus gezeltet – in einer Woche könnte das Lager geräumt werden.
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"Damit das aber nicht passiert, laufen jetzt jeden Tag Aktionen", sagt Aktivist Thomas, in der Szene bekannt als Thomas Occupy. "Wir werden noch ordentlich Krach schlagen, bevor wir gehen." Das Zeltlager soll nach dem Willen von Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) bis zum 31. Juli verschwinden – vor allem wegen der hygienischen Zustände, hieß es. In der Bildzeitung standen die Schlagwörter: "Rattenplage, Alkoholiker, Junkies, Rumänen-Ansturm, Schulden." Das Occupy-Camp sei zum sozialen und hygienischen Brennpunkt verkommen.
Aktivisten: Medienberichte seien "rassistisch"
"Da läuft klar eine rassistische Medienkampagne gegen uns", sagt Thomas: "Ich bin von Anfang an mit dabei gewesen und wir waren und sind die ganze Zeit politisch." Der Mann in orangefarbener Jacke mit "Occupy"-Button macht mit seinem blauen Fahrrad mit verspielter Krokodilkopf-Tröte den Eindruck eines waschechten Aktivisten: "Alle Zusagen, die wir der Stadt in den vergangenen Monaten gemacht haben, sind eingehalten worden."
Ein englischer Weltenbummler ist mit dem Fahrrad nach Frankfurt gekommen, um sich das Lager anzusehen und politisch mitzuwirken. Foto: epd-bild/Thomas Rohnke
"Wir befinden uns also in der Schlammschlacht mit der Bild", sagt Jahn. Daher wollen die Aktivisten auch zum Redaktionsgebäude, um Flyer zu verteilen. Andere Journalisten sind eingeladen, mitzukommen, um die Aktion zu beobachten. Auf dem gerade eben im Sonnenschein frisch gemalten Plakat steht "Niedergang der Bildtanic, Lügen haben kurze…". Es sei eine Schande, welche verzerrte Realität die Boulevardzeitung verbreiten könne, so Jahn.
Auch andere Aktionen sind geplant, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass es sehr wohl eine politische Motivation gibt, warum das Camp besteht. Mittwoch gibt es eine Pressekonferenz, für Samstag ist eine Demo geplant.
Lager-Konsens: Keine Gewalt und keine Drogen
Politisch aktiv ist also zumindest ein Teil der Campbewohner. Nach eigenen Angaben übernachten derzeit rund 100 Menschen in dem kleinen Zeltlager vor der EZB, darunter 24 Aktivisten. Dazu kommen unter anderem rund 40 Roma aus Rumänien, sechs Polen mit Alkoholproblemen, acht geistig verwirrte Menschen, die sonst als Obdachlose in der Frankfurter Umgebung leben, acht Marokkaner, fünf afrikanische Bootsflüchtlinge, ein Schotte, ein Holländer – internationale Gäste gibt es im Lager häufiger.
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"Wir schicken keinen Menschen weg, egal welche Hautfarbe er hat – aber gewisse Verhaltensweisen dulden wir nicht", erklärt Thomas den Konsens, den es über das Lagerleben gibt. "Wir sind gegen jede Form von Drogen, menschenverachtendem Verhalten und Gewalt." Die Menschen, die hier zelten und sich nicht direkt aktiv an der Occupy-Bewegung beteiligen, seien aber dennoch ein lebendes Mahnmal dafür, dass das System nicht funktioniere. Sie zeigten die soziale Realität der Stadt Frankfurt.
Dennoch versichert der Aktivist, dass das Camp nicht zum Ghetto verkommen werde. Polizeihunde, die nach Drogen schnüffeln, sind willkommen. Und die Menschen mit Alkoholproblemen wüssten auch, dass sie sich anständig benehmen müssten, sonst könnten sie nicht im Lager geduldet werden, so Thomas Occupy.
Ein Sommercamp der Armut
Die Zeltansammlung wirkt bei hellem Sonnenschein wie ein schmutziges Sommercamp. Auch wenn hier und da Gitarre gespielt wird und ein gemütliches Sofa mitten im Freien steht - es ist traurig zu sehen, in welcher Armut die versammelten Menschen leben. Manche Zelte sind notdürftig mit Planen abgedeckt. Ein einziger Wasserhahn mit warmem Wasser wird geteilt. Ein vielleicht zehnjähriges Mädchen holt Wasser, um Wäsche zu waschen.
Auch wenn den Campbewohnern vorgeworfen wird, dass zu wenige politische Aktivisten dort wirken - auf dem Lager-Plan stehen viele Aktionen. Foto: Sarah Salin
Doch das seien nicht die Probleme, die die Occupy-Bewegung verursacht habe, das Camp mache diese nur sichtbar, sagt Thomas. Das gelte auch für die Ratten. Wie in der ganzen Stadt, gebe es auch welche auf dem Zeltplatz-Gelände. Die Küche des Camps wurde jedoch schon vor Monaten geschlossen und wenn es wirklich eine Rattenplage geben würde, wäre es zu keiner Zeit ein Problem, die Tiere mit einem Vitamin-K-Mittel zu vertreiben, wie der gelernte Gärtner weiß.
Natürlich machen viele Menschen aber auch ganz schön viel Dreck. Der Müll wird zentral gesammelt und von der Stadt abgeholt. In einem Zelt stehen Mülltonnen und auch einige Säcke – alles wirkt schmutzig, jedoch gibt es keine fauligen oder schimmelnden Essensreste. "Zelten ist nach deutschen Hygienevorschriften immer eine unhygienische Angelegenheit", sagt der Aktivist Jahn dazu.
Aktivist: "Occupy ist nicht pleite."
Ein reisender Engländer, der gerade seine erste Nacht in dem Camp verbracht hat, findet die Hygiene "okay". Ratten habe er keine gesehen. Generell sagt er, auch im Vergleich zu dem Occupy-Camp, das er in London besuchte, sei die Frankfurter Aktion "ein positives Statement". Er will einige Tage bleiben.
Laut Thomas sind alle angemahnten Kosten bei der Stadt beglichen. Rechnungen in Höhe von 10.000 Euro werden vermutlich aber noch für Wasser, Strom, Müllentsorgung und anderes zu bezahlen sein, doch das könnten Sponsoren der Bewegung auf jeden Fall tragen. "Occupy ist nicht pleite." Seiner Ansicht nach hat sich in den letzten Wochen die Hygienesituation im Camp sogar verbessert, er wittert daher in der bevor stehenden Räumung eine bundesweit konzertierte politische Entscheidung, weil zum 31. Juli auch Camps in Kiel, Münster und Düsseldorf aufgegeben werden müssen.
Ordnungsdezernent Frank hatte das bereits am vergangenen Freitag zurückgewiesen. Er will die Schließung: "Denn die hygienischen Zustände sind unhaltbar." Die Bewohner hätten sich in den vergangenen Wochen zwar schon bemüht, die Lage zu verbessern. "Aber das Ergebnis reicht bei weitem nicht."