Der "Süddeutschen Zeitung" sagte Müller, die österreichischen und deutschen Priester einer entsprechenden Initiative förderten "ein Kirchenbild, das davon ausgeht, dass die Menschen sich selber ihre Kirche schaffen, nach eigenem Geschmack und jeweiligem Zeitgeist". Dies sei "mit dem christlichen Glauben nicht zu vereinbaren".
Ein Priester müsse die Lehre seiner Kirche kennen und die Spannungen aushalten, die es in der katholischen Kirche gebe, statt dem Zeitgeist nachzugeben, sagte der Kurienerzbischof. "Mit bloßer Konformität tun wir den Menschen keinen Gefallen." Nach katholischem Kirchenrecht dürfen wiederverheiratete Geschiedene das Abendmahlssakrament nicht empfangen. Müller deutete allerdings an, dass er sich in der Frage der Kommunion wiederverheirateter Geschiedener durchaus Einzellösungen vorstellen könne.
Kritik an Piusbruderschaft
Der Präfekt kritisierte auch die traditionalistische Priesterbruderschaft Pius X., die etliche Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) ablehnen. Über den Aussöhnungsprozess des Vatikan mit den Piusbrüdern, sagte Müller, wenn die Bruderschaft die Trennung überwinden wolle, müsse sie "akzeptieren, dass das Zweite Vatikanische Konzil verbindlich ist". Die Erklärungen "zum Judentum, zur Religionsfreiheit, zu den Menschenrechten" könne sie "nicht ablehnen, ohne den katholischen Glauben zu beeinträchtigen".
Ob das Tischtuch endgültig zerschnitten sei, könne man allerdings erst nach einer offiziellen Antwort der Piusbruderschaft sehen, sagte Müller. Die Darstellung, dass der Papst sich gerne mit der Piusbruderschaft einigen würde, die Glaubenskongregation dies aber verhindere, habe "mit der Wirklichkeit nichts zu tun". Müller stand den Piusbrüdern schon als Regensburger Bischof kritisch gegenüber. Bei seiner Ernennung zum Präfekten der Glaubenskongregation beschuldigte ihn die Bruderschaft, von der offiziellen katholischen Lehre abweichende Auffassungen zu vertreten.
Müller: Kirche braucht unterschiedliche Denkrichtungen
Müller schlug allerdings im Interview auch versöhnliche Töne an. Seine Hauptaufgabe sei es nicht, "Bischöfe und Theologen zu kontrollieren", sondern vom "Positiven des Glaubens" zu reden, sagte er. Erst danach sei es seine Aufgabe, die kirchliche Lehre gegen "falsche Auslegungen und Verkürzungen" zu verteidigen. Die katholische Kirche brauche "unterschiedliche Denkrichtungen". Freiheit dürfe allerdings in der katholischen Kirche nicht missverstanden werden als die Erlaubnis, "tun zu können, was man will"; Freiheit im Glauben sei die Antwort "auf das, was Gott uns in seiner Freiheit vorgibt".
Papst Benedikt XVI. hatte den in Deutschland wegen zahlreicher Konflikte umstrittenen Regensburger Bischof am 2. Juli zum obersten Glaubenshüter der katholischen Kirche ernannt. Der 64-jährige hat damit das dritthöchste Amt in der römischen Kurie nach dem Papst und dem Kardinalstaatssekretär inne.