Badeurlaub am Strand ist nicht Rüdiger Leidners Ding. Seine Reisen führten ihn schon nach Südamerika und Asien, er wandert gerne, auch in den Bergen. 2010 reiste er durch Peru, dazu gehörte auch eine Trekkingtour in die alte Inkastadt Machu Picchu. Dass Leidner blind ist, hält ihn von körperlich fordernden Reisen nicht ab. "Natürlich kann man auf einem Inkapfad keine Barrierefreiheit nach deutschen DIN-Normen erwarten", sagt er. Aber er reiste in Begleitung seiner Frau, außerdem sei er körperlich fit. Eine Treckingtour in eine Inkastadt? Eine Herausforderung, aber seiner Meinung nach nicht gefährlich oder gar unschaffbar.
Der Veranstalter der Peru-Rundreise sah das anders. Ein Mitarbeiter der Organisation versuchte vor Ort, Leidner von der Reise nach Machu Picchu abzuhalten. Das sei viel zu gefährlich, sagte er, außerdem könne Leidner die anderen Reisenden stören. Er ließ sich davon nicht abhalten und erreichte die Inkastadt ohne große Schwierigkeiten. Leidner ist Vorsitzender der Nationalen Koordinationsstelle Tourismus für Alle (NatKo). Er setzt sich dafür ein, dass behinderte Menschen jede Art von Reisen machen können. 1999 wurde die Koordinationsstelle von sieben Behindertenverbänden gegründet.
"Behinderte Menschen haben dieselben Reisewünsche wie alle"
Wenn Menschen mit Behinderungen Urlaub machen, müssen sie ihn gut planen. Ein Last-Minute-Angebot zu buchen, ist nicht möglich, wenn man nicht ohne Hilfe ins Flugzeug einsteigen kann und ein Hotelzimmer mit rollstuhlgerechtem Badezimmer braucht. Mehrere kommerzielle Reiseveranstalter haben sich daher auf Urlauber mit Handicaps spezialisiert. Auch Selbsthilfeorganisationen wie der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter bieten Gruppenreisen für Menschen mit Behinderung an oder vermitteln passende Individualreisen.
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Doch nach der UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 in Deutschland gilt, sollten Menschen mit Behinderung dieselben touristischen Angebote nutzen können wie nicht-behinderte Urlauber. "Behinderte Menschen haben genau dieselben Reisewünsche wie alle Menschen", betont Leidner. "Sie können sie nur nicht genauso umsetzen."
Gerade Veranstalter von Gruppenreisen schrecken nach seiner Erfahrung häufig davor zurück, behinderte Menschen mitzunehmen. "Sie haben vor allem Angst, dass sich die Mitreisenden beschweren könnten." Leidner berichtet von einer Organisation, die einen Rollstuhlfahrer mit der Begründung ablehnte, der Transport in und aus dem Reisebus dauere zu lange und mache die Mitreisenden unruhig. Rechtlich eine schwierige Situation. Einen Reisenden nur wegen seiner Behinderung abzulehnen, sei Diskriminierung, sagt Bettina Dittrich, Juristin der Verbraucherzentrale Sachsen. "Aber ein Reiseveranstalter kann einen Behinderten ablehnen, wenn die Reise für ihn nicht geeignet ist." Was genau "geeignet" heißt, ist freilich Interpretationssache.
Kein Zwang zum Vertragsabschluss
Dass die Mitreisenden sich möglicherweise unwohl fühlten, wenn ein Behinderter mitreise, sei jedenfalls kein legitimer Grund für eine Ablehnung, betonte Dittrich. "Aber es gibt keinen Vertragsabschlusszwang für Reiseveranstalter." Wenn sich ein behinderter Mensch diskriminiert fühlt, kann er gegen die Diskriminierung klagen – er kann aber nicht vor Gericht erstreiten, dass der Reiseveranstalter ihn mitnimmt.
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Eine ähnliche Situation bestehe bei Flugreisen, berichtet Leidner. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Fluglinien wie Lufthansa oder Air Berlin steht, dass Fluggäste aus Sicherheitsgründen abgelehnt werden können. "Wenn vier Blinde zusammen Urlaub machen, kann es sein, dass sie nicht im selben Flugzeug sitzen dürfen, sondern auf mehrere Maschinen aufgeteilt werden", sagt Leidner.
Im Hotel- und Gastgewerbe gebe es weniger Ablehnung. 2005 schlossen der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) und der Deutsche Hotelverband mit fünf Behindertenverbänden eine Zielvereinbarung ab, um Hotels und Restaurants besser für behinderte Menschen zugänglich zu machen. Darin sind Piktogramme vereinbart, die Gästen zeigen sollen, für welche Arten von Behinderungen eine Einrichtung geeignet ist. Zudem wurden Mindest-Qualitätsstandards festgesetzt. Für sehbehinderte Menschen sollten Hotels und Restaurants beispielsweise Streifen an Glastüren anbringen und im Eingangsbereich auf kontrastierende Farben achten. Für gehörlose Urlauber sollten im Hotelzimmer Türklopfen und Telefonklingeln über Lichtsignale angezeigt werden.
"Kirchturmsdenken weit verbreitet"
Kritikern geht die Vereinbarung aber nicht weit genug. Die SPD forderte im Juni im Bundestag, dass die Einhaltung der Qualitätsstandards durch eine externe Stelle wie die NatKo geprüft werden soll. Derzeit liegt die Überprüfung bei den einzelnen Unternehmen. Die Sozialdemokraten verlangten auch ein bundesweit einheitliches Siegel zur Barrierefreiheit. Der Antrag scheiterte an den Stimmen der Regierungskoalition.
Die NatKo arbeitet derzeit zusammen mit dem Deutschen Seminar für Tourismus an einer solchen Kennzeichnung für die gesamte Reise- und Servicekette im Tourismus. Das Projekt "Tourismus für alle", in dem unter anderem auch ein Curriculum zur Schulung von Mitarbeitern entwickelt werden soll, läuft noch bis Dezember 2013. Der Dehoga dämpft aber die Erwartungen. Zwar würde der Verband ein einheitliches Siegel begrüßen, betonte die Geschäftsführerin Sandra Warden. Doch Tourismuspolitik ist Ländersache. "Es ist nicht möglich, irgendjemanden zu zwingen, diese Kennzeichnung zu übernehmen", sagte Warden. "Das Kirchturmsdenken ist hier leider recht verbreitet."
Rüdiger Leidner hofft vor allem auf mehr Offenheit bei den Mitarbeitern der Tourimusbranche. Vielerorts bestehen nach seiner Erfahrung Ängste, die nach einem einfachen Gespräch verschwinden. Kürzlich sei er in einem Hotel in Brandenburg gewesen, berichtet Leidner. Eine Mitarbeiterin kam an die Rezeption, war zunächst still und sagte dann: "Ich habe ein Problem. Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll." Das, sagt Leidner, sei die beste Reaktion, die es gebe. "Ich habe gesagt: Kein Problem. Da kann ich Ihnen helfen."