Herr Matt, mit ihrer Arbeit forcieren Sie ein wichtiges Thema. Wie ist es dazu gekommen?
Hans-Peter Matt: Als erstes muss jeder seinen Lebensunterhalt verdienen, auch ich. Dabei bewege ich mich zwischen Arbeit und Mission, gegen alle Widerstände. Wie Herrmann Hesse schon sagte: "Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden. Das ist mein Anliegen. Es muss möglich sein, dass auch Menschen mit Handicap uneingeschränkten Zugang zu den verschiedensten Bereichen des Lebens haben. Hier haben wir noch viel Nachholbedarf.
Haben Sie sich aus diesem Grunde zum Schwarzwaldguide ausbilden lassen? Schließlich ist das außergewöhnlich …
Matt: Der Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord, so wie wir ihn hier haben, ist eine gute Idee. Mir ging es darum, ihn auch mit Leben zu füllen. Dabei habe ich mit ganz verschiedenen Gruppen von Menschen zu tun: mit Querschnittsgelähmten, mit Menschen mit Multipler Sklerose, mit behinderten Kindern, usw. Ich spreche aber bewusst von Menschen mit Handicap: Das heißt, auch Gehörlose oder Sehbehinderte sind angesprochen.
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Die Gruppen werden so zusammengesetzt, dass sie passen. Warum sollte der Naturpark Menschen mit Handicap nicht zugänglich sein? Meine Touren führen dabei in der Regel über die Hornisgrinde im Nordschwarzwald. Ich bin gerade dabei, weitere Touren auszuarbeiten. Aber ich möchte nicht mehr über das Thema Rollstuhlfahrer an sich sprechen, das ist schon lange durch. Es gibt neuere Entwicklungen und aktuellere Fragestellungen.
Wie sehen Sie denn Ihr Engagement im gesellschaftspolitischen Kontext?
Matt: Das genau sind die Maßgabe und mein Beitrag zum Thema "demographischer Wandel". Der Bedarf an Barrierefreiheit wird statistisch gesehen wachsen. Ich denke, wir haben hier insbesondere im Schwarzwald schon einiges erreicht, sicher auch aus dem Hintergrund heraus, dass viele Kommunen in LEADER-Regionen (europäisches Förderprogramm für den ländlichen Raum, Anmerkung der Redaktion) liegen und diese Projekte bis zu 75 Prozent kofinanziert werden. Hierbei spreche ich von öffentlichen Projekten, privatwirtschaftlich sind es auch immerhin 20 Prozent.
Aber lassen wir mal den finanziellen Gesichtspunkt außer Acht. Zumal es dahingestellt sei, ob alle Mittel immer effizient und nachhaltig eingesetzt werden. Finanzielle Anreize zu setzen, ist zwar grundsätzlich richtig. Aber es sind nicht immer die Finanzen, die kreatives Handeln verhindern, es sind auch die Barrieren in den Köpfen. Hier ist ein Umdenken erforderlich.
Barriefreiheit bedeutet demnach mehr als nur ein eine Rampe mit sechs Prozent aufzustellen. Was bedeutet Barrierefreiheit denn eigentlich?
Matt: Barrierefreiheit bedeutet, dass auch Menschen mit Handicap am Wettbewerb teilnehmen können und das hat sowohl wirtschaftliche als auch gesellschaftspolitische Gesichtspunkte. Wettbewerb zwischen Regionen und Kommunen spielt außerdem bei der Abwanderung oder beim Zuzug eine große Rolle und das in touristischer und bevölkerungsrelevanter Hinsicht. Ebenso verhält es sich in der Industrie. Produkte "für Alle" (von der Bedienbarkeit und Nutzbarkeit her gesehen) zu schaffen bedeutet Innovation und Vorsprung.
Denn in fast allen Industrienationen als auch auf den Arbeitsmärkten werden derartige Produkte aufgrund des demographischen Wandels einen immer höheren Stellenwert einnehmen. Nutzbar "für Alle" ohne stigmatisierenden Hintergrund sowie ein funktionelles und ansprechendes Design, das sind die Vorgaben - und wer sich heute nicht auf das Thema einlässt, der gehört morgen zu den Verlierern.
Sie betonen auch, dass Barrierefreiheit Auswirkungen auf die Arbeitsplatzsituation hat: Worin besteht hier der Zusammenhang? Wo sehen Sie das Potenzial?
Matt: In Zeiten des Fachkräftemangels wird oft über die Integration ausländischer Fachkräfte diskutiert. Menschen mit einem Handicap gleich welcher Art hingegen können aber teilweise nicht zu Fachkräften ausgebildet werden, weil es an der notwendigen Infrastruktur fehlt. Dieses Potenzial bleibt ungenutzt. Fachkräfte als Experten in einer eigenen Sache auszubilden, wäre aber nachhaltig. Ein gut zugänglicher Öffentlicher Personennahverkehr verhindert zudem Abwanderung und nutzt nebenbei dem Tourismus.
Was ist Ihr letztendliches Ziel? Wohin sollen Ihre Bemühungen führen?
Matt: Im Grunde genommen arbeite ich daran, dass meine Arbeit in 20 Jahren überflüssig wird. Bestenfalls entfällt meine Daseinsberechtigung.