Im Schwimmbad schnappt Mine Kizilkaya immer wieder Gespräche über den Kirchenverkauf an Muslime auf. "Wer mich kennt, spricht mich aber auch direkt an", erzählt die 59-Jährige, die in der örtlichen Badeanstalt arbeitet. Die aus der Türkei stammende Alevitin lebt schon seit vielen Jahren in Mönchengladbach und versteht die Aufregung um die neuen Räume ihrer Gemeinde nicht.
Weihbischof: "Eine Zumutung"
Angefangen hat alles vor vier Wochen mit der Einweihungsfeier des "Cem-Hauses". Seither vergeht kaum ein Tag, an dem dort nicht Journalisten auftauchen. Über die Eröffnung berichtete ein Massenblatt mit dem Titel "Erste christliche Kirche jetzt muslimisches Gotteshaus". Auch eine Nachrichtenagentur kolportierte die "Umwandlung einer Kirche in eine Moschee" und zitierte den Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke mit den Worten: "Das ist schon eine harte Zumutung."
Hintergrund der Berichte: Die evangelisch-methodistische Kirche in Möchengladbach-Rheydt hatte ihre nicht mehr genutztes Gemeindezentrum an den Alevitischen Kulturverein verkauft. Dass ein Cem-Haus nicht mit einer Moschee gleichzusetzen ist, ging in den Medien und der sich anschließenden öffentlichen Debatte völlig unter. Ein "Cem Evi", wie es im Türkischen genannt wird, ist kein heiliger Ort, sondern eine Stätte für Versammlungen und der Lehre. Dort finden religiöse Zeremonien ebenso wie Aussprachen statt, wird Streit geschlichtet, aber auch Feste gefeiert.
Vor Ort, an der Scharmannstraße im Mönchengladbacher Stadtteil Rheydt, lässt sich auf den ersten Blick die Aufregung über die Umnutzung einer Kirche "als muslimisches Gotteshaus" nicht nachvollziehen. Auch weil es sich nicht um ein Gebäude mit Kirchenanmutung handelt. Über den Eingang des dreistöckiges Hauses aus Backstein, der Architektur nach in den 1920er Jahren erbaut, hängt ein Schild mit dem Schriftzug "Alevi Kültür Merkezi – Alevitisches Kulturzentrum e.V.".
Vereinsvorsitzender Ismail Emre führt durch die neuen Gemeinderäume und berichtet dabei von den Umbauarbeiten, die nach dem Kauf der Immobilie vor zwei Jahren vorgenommen worden. "Vieles haben wir in Eigenarbeit gemacht", sagt der 40-Jährige nicht ohne Stolz. Dass mit bescheidenen Mitteln renoviert wurde, ist unschwer zu erkennen. Erneuert hat der rund 120 Mitglieder zählende Verein in den rund 240 Quadratmeter großen Räumlichkeiten nur das nötigste. Auf frische Farbe ist an vielen Wänden verzichtet worden.
Der Eingang zum Alevitischen Gemeindezentrum in Mönchengladbach-Rheydt, in dem sich früher eine evangelisch-methodistische Kirche befand. Foto: Canan Topçu.
Im Souterrain gibt es einen Seminarraum und Toiletten, im Erdgeschoss befindet sich der Aufenthaltsraum mit Teeküche. Im hinteren Teil befindet sich das, was mit einem Tabubruch verbunden wird: ein großer Saal mit hoher Decke, in der die evangelisch-methodistische Kirche ihre Gottesdienste gefeiert hat. Nunmehr versammeln sich dort Aleviten und halten ihre religiösen Zeremonien ab. In der Empore, die jetzt vom Divanen umrahmt wird und wo Bilder des Propheten Ali und anderer Heiliger hängen, befand sich der Altar.
Lange Zeit nach Käufer gesucht
Nach dem letzten Gottesdienst, den die evangelisch-methodistische Kirchengemeinde dort im Juni 2009 feierte, wurde der Saal geräumt und die Immobilie zum Verkauf gestellt. Eine Entscheidung, die nach den Worten von Superintendent Rainer Barth zwangsläufig aus dem Schwund an Gemeindemitgliedern resultierte. "Lange Zeit haben wir nach geeigneten Käufern gesucht", berichtet er. Andere Kirchengemeinden hätten aber kein Interesse an der Immobilie gehabt.
Durch Vermittlung des Laienpredigers Klaus Thimm wurde das baufällige Gebäude schließlich für rund 70.000 Euro an die örtliche Alevitische Gemeinde verkauft. "Nach eingehender Prüfung", berichtet Barth. "Es ist eine Einzelfallentscheidung, und den Ausschlag hat schließlich gegeben, dass wir in der alevitischen Gemeinschaft einen Partner im interreligiösen Dialog sehen, der sich von typischen muslimischen Gemeinschaften deutlich unterscheidet."
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Besonders die Betonung des Liebesgebots, die Toleranz gegenüber Andersgläubigen und die Gleichstellung von Mann und Frau seien wichtige Kennzeichen, mit der sich Aleviten von vielen anderen Gruppierungen im Islam deutlich abhebten. Dazu gehöre auch die sich vom Moscheeverständnis des Islams unterscheidende Haltung zum eigenen religiösen Gebäude.
Die immer wieder an der evangelisch-methodischen Kirche (EmK) geäußerte Kritik, mit dem Verkauf des Gotteshauses an eine muslimische Gemeinschaft einen Tabubruch begangen zu haben, kann Superintendent Barth nicht nur aus den genannten Gründen nicht nachvollziehen. Er weist auch darauf hin, dass seine Kirche nicht an den internen Beschluss der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) gebunden sei, keine Kirchen an muslimische Gemeinden zu verkaufen. Es gebe auch keine Vereinbarung zwischen der EKD und der EmK.
Viele Gäste bei der Einweihung
Zur Einweihungsfeier des Cem-Hauses kamen Anfang Juni viele Gäste – der Bürgermeister, Lokalpolitiker, Vertreter der evangelisch-methodistischen Kirche, nicht aber Vertreter anderen Kirchen, berichtet Feramuz Solmaz. Der 56-Jährige ist der geistige Oberhaupt der Alevitischen Gemeinde und kann, wie alle anderen in seiner Gemeinde, die Aufregung nicht nachvollziehen. Seine Gemeinde sei froh, nach mehrmaligen Ortwechseln nunmehr eine eigene Stätte für religiöse Feiern und andere Versammlungen zu haben.
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Feramuz Solmaz' Vision ist, dass das Cem-Haus im Mönchengladbach-Rheydt wie die in der Türkei ein rund um die Uhr offenes Haus sein wird. Ein Haus, in dem jeder willkommen ist. Es wird wohl bei der Vision bleiben. Vorerst ist es nur an Wochenenden geöffnet. Angeboten wird derzeit Saz-Unterricht (ein Saiteninstrument), für die Jüngeren gibt es eine Unterweisung in die alevitische Religion. Und im Aufenthaltsraum treffen sich vor allem die älteren Gemeindemitglieder zum Plausch bei Tee und Gebäck. Mine Kizilkaya und ihr Mann gehören zu den regelmäßigen Besuchern. Für sie hat dieser Ort noch eine ganz andere Bedeutung: Es trägt zum Wurzelschlagen bei.