Unter den Obdachlosen am Bahnhof Zoo haben die Notunterkünfte der Berliner Kältehilfe einen zweifelhaften Ruf. "Ich gehe in keine Einrichtung, wo ich mit mehreren Leuten zusammen bin. Ich habe sechs Jahre Knast hinter mir, da war ich mit fünf Mann auf einer Zelle, eingeengt, da dreh ich durch", sagt Jürgen.
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"Da stehen bei Minusgraden 160 Leute ab 17 Uhr an und Einlass ist erst um 21 Uhr", erinnert sich Jörn an die Situation in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofes. Und Kati ergänzt: "Da sind zu viele Leute auf einem Platz. Das ist heikel, das sind zu viele Gewalttätigkeiten. Man fragt sich: erfrieren oder erschlagen werden oder ausgeraubt werden?"
Vielen Obdachlosen sind die Notunterkünfte zu laut, zu überfüllt, zu dreckig. Lieber übernachten sie daher bei Minusgraden in Keller- und Hauseingängen oder sogar im Freien. In der aktuellen Kältesaison stehen in der Bundeshauptstadt etwa 430 Übernachtungsplätze in 30 verschiedenen Einrichtungen zur Verfügung. Das bedeutet: Ein Meter mal zwei Meter Isomatte mit Laken und Decke auf dem Boden, daneben Waschmöglichkeit, Toiletten und Duschen.
"Käfighaltung mit Menschen"
Dieter Puhl, der Leiter der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo, schätzt, dass trotz der Notunterkünfte 1.500 bis 3.500 Menschen auf der Straße dann immer noch nicht versorgt sind. Die Notübernachtung am Hauptbahnhof in der Lehrter Straße etwa kann etwa 120 Menschen aufnehmen.
Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo. Foto: Thomas Klatt
"In der Not hatten wir da aber schon 180 bis 190 Gäste", sagt Puhl und ergänzt: "Das ist ein Stückchen Käfighaltung mit Menschen." Es sei ein Spagat, zu viele Menschen aufzunehmen oder sie im Zweifelsfall draußen erfrieren lassen zu müssen.
Laut dem "Allgemeinen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin" (ASOG) ist es Sache der Stadtbezirke, die Menschen vor dem Kältetod zu bewahren. Diese Aufgabe gibt die Politik aber gerne an Diakonie, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz und andere Wohlfahrtsverbände ab. Mit viel ehrenamtlichem Engagement unterhalten sie Nachtcafés, Suppenküchen und Beratungsstellen.
Zwei Kältebusse bringen Bedürftige von überfüllten in weniger frequentierte Quartiere. Doch das von den Bezirken zur Verfügung gestellte Geld reicht für diese Aufgaben nicht aus. Zudem gibt es zu wenige Immobilien, die nur für die fünf kältesten Monate des Jahres als Schutz-Räume angemietet werden können. Natürlich könnte man im Notfall auch einfach Kirchen offen halten, meint die Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Susanne Kahl-Passoth und ergänzt: Aber das sei im Grunde keine Lösung. "Sonst machen wir ja nur einen Raum auf. Es geht ja auch um Zuwendung und Beratung, um den Menschen einen Weg zu zeigen, wie sie aus ihrer Situation herauskommen."
Mehr Tote bei über null Grad
Die Zahl der Obdachlosen in der Hauptstadt steigt seit Jahren an. Immer mehr Hartz-IV-Empfänger, junge Menschen ohne familiären Halt, Flüchtlinge oder Menschen aus Ost-Europa geraten in Obdachlosigkeit. Hinzu kommen Menschen mit psychischen Problemen und Strafentlassene.
Frauenschlafsaal in Berlin-Kreuzberg. Foto: Marc Tirl/dpa
Die Direktorin des Berliner Caritasverbandes, Ulrike Kostka, verweist darauf, beim Thema Kältehilfe und Obdachlosigkeit auch die verfehlte Wohnungsbaupolitik in der Stadt in den Blick zu nehmen. Mittlerweile sei ein harter Konkurrenzkampf um bezahlbaren Wohnraum ausgebrochen, den die Schwachen in der Gesellschaft nur noch verlieren können. Die Wohnungsnot in Berlin führe nicht nur zur Verdrängung armer Berliner aus den Innenstadtbezirken, sondern auch zu einem deutlichen Anstieg der Obdachlosenzahlen. "Die Zahl derjenigen, die eine Wohnung suchen und brauchen ist drei Mal so hoch wie die Wohnungen, die zur Verfügung stehen", mahnt Kostka.