Illustratoren mit ungewöhnlichen Ideen haben es nicht leicht. Als Daniel Chodowiecki (1726-1801) die Vorzeichnungen von zwölf Blättern für einen Jahreskalender nach Frankfurt schickte, bekam der Zeichner eine Absage. Die Bilder seien als "Neujahrsgeschenk für Frauen untauglich", ließ ihn der Verlag der Jägerschen Buchhandlung wissen. Chodowiecki hatte einen "Totentanz" entworfen. Als ersten holt der Sensenmann den König. Doch auch für den Bettler, die Schildwache, das Freudenmädchen und das Fischweib, die Mutter, den Papst, gibt es kein Entkommen vor Gevatter Hein. Als beflügeltes Gerippe raubt der Tod gar der unaufmerksamen Amme das Kind, als es ihr aus der Wiege fällt.
Ob Chodowiecki, der Danziger Sohn eines Getreidehändlers, der berühmte Miniaturmaler, der spätere Leiter der Berliner Akademie der Wissenschaft, seine Blätter in Kupferätzung noch einmal überarbeitete, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Allein: Der "Königlich Großbritannische Historische Genealogische Calender für 1792" mit seinem "Totentanz" erschien doch noch im Verlag Berenberg (Lauenburg) und dem Verlag der Jaegerschen Buchhandlung Frankfurt. Das ist 220 Jahre her.
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1912, am 12. Februar, leitete ein "Totentanz" die Geschichte der Babelsberger Filmstudios in Berlin ein. Vor der Kamera der erste weibliche Star in der Geschichte des Kinos: Asta Nielsen. In der Rolle der Ingenieursgattin Bella Burk gab die Stummfilm-Schauspielerin die tragische Muse eines Musikers. "'Totentanz' heißt der Film wohl, weil es in dem Drama ja wirklich ein Tanz zum Tode ist, wenn Sie sich an die irre Tanzszene erinnern, aber natürlich hat das mit dem Totentanz, so wie man ihn aus dem mittelalterlichen Mysterienspiel kennt, nichts gemein", sagt Karola Gramann, Leiterin der Kinothek Asta Nielsen in der Stiftstraße. 429 Meter Filmmaterial sind von der Stummfilmproduktion, die in einer großen Retrospektive des Werks der Schauspielerin 2007 im Filmmuseum gezeigt wurde, noch erhalten. Im Filmmuseum München wurden sie danach rekonstruiert und restauriert.
"Der Türmer schaut zur Mitternacht"
Eine ganz spezielle Verfilmung des Themas lässt sich jederzeit auf YouTube im Internet anschauen: Johann Wolfgang von Goethes "Totentanz" von 1815. "Der Türmer schaut zu Mitten der Nacht / Hinab auf die Gräberanlage." Und während die Turmuhr noch schlägt, erheben sich die Toten. Ein wenig ungelenk, als hätten sie noch Gliederschmerzen, was wohl eher daran liegt, dass sie aus Legobausteinen sind. "Meines Erachtens einfach grandios", kommentiert Youtube-Nutzer Philipp den Animationsfilm von Steffen Troeger aus dem Jahr 2004 im Netz. Was der Herr Geheimrat Goethe wohl dazu gesagt hätte?
Doch Chodowieckis Kalenderblätter, das Babelsberger Melodram oder Goethes Gedicht sind keine "klassischen" Totentänze. Ihrer Erforschung hat sich über Jahre der Kunstpädagoge Jens Guthmann aus Karben im Wetteraukreis als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Goethe-Uni gewidmet.
Leporello zum Struwwlpeter-Totentanz. Foto: Nikolaus Mohr
"Totentanz-Darstellungen waren ursprünglich monumentale Wandmalereien an Friedhofsmauern, Beinhäusern oder Kirchen. Ihre Aufgabe war es, den Betrachter an die eigene Sterblichkeit zu erinnern. Der Totentanz war meist rundum umgeben von Paaren aus Menschen und Tod. Sie zeigten – angefangen von Papst und Kaiser bis zur einfachen Bevölkerung und Außenseitern – die gesamte mittelalterliche Gesellschaft. Spannend war dabei, dass in den beigefügten Texten auch die Obrigkeit kritisiert werden konnte, und es die eindeutige Botschaft gab, dass im Tod alle gleich sind."
Tod und Lebensfreude im Spannungsfeld
Dass Musiker von Franz Liszt (Dies irae, 1849) bis Robby Williams (Rock DJ, 2000), Filmemacher von Walt Disney (The Skeleton Dance, 1929) bis Woody Allen (Die letzte Nacht des Boris Gruschenko, 1974), Maler von Hans Holbein dem Jüngeren (Imagines mortis, ab 1530) bis Lovis Corinth (Totentanz, 1921) und Dichter von Apollinaire über Rilke, Heine, Brecht den Totentanz in immer wieder neuer Gestalt zu (neuem) Leben verhalfen, erklärt sich Guthmann so: "Natürlich gab es immer eine große Faszination für das Thema Tod. Wenn sich der Tod allerdings mit dem Tanz eines wesentlichen Ausdrucks der menschlichen Lebensfreude bemächtigt, entsteht ein interessantes Spannungsfeld. Daher hat sich auch das Motiv des Tanzes von Tod und junger Frau, in dem die Gegenüberstellung von Tod und Leben am deutlichsten vollzogen wird, verselbständigt."
Selbst ein Motiv des "Struwwelpeter" aus der Feder des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann, gibt es in einer makabren Version. Den Künstler Nikolaus Mohr, Jahrgang 54 , aus Lindau am Bodensee, inspirierte die "Geschichte von dem schwarzen Buben" zu einer Art Schattenriss aus 30 Figuren, dem er den Namen "Haigerlocher Totentanz" gab. Seine Arbeit war das April-Motiv im virtuellen Kalender der Europäischen Totentanzvereinigung 2011. Anders als bei Chodowieki gab es keine Bedenken an seinem künstlerischen Entwurf.
Wäre da noch die Alte Brücke in Frankfurt – auf der es "Totentänze" gegeben haben soll. Überliefert ist das Lied "Es führt eine Brücke über den Main, eine Brücke aus Stein", das diese zum Thema hat. Und die Veröffentlichung des Museums für Sepulkral-Kultur in Kassel "tanz mit dem Totentanz" aus dem Jahr 2007 von Hartmut Kraft. Der bibliophile Band dokumentiert die Auseinandersetzung zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler mit dem (zerstörten) mittelalterlichen Werk des Lübecker Totentanzes. Das Buch kann man sich schicken lassen – einen Besuch im einzigartigen Museum für Totenkultur in der nordhessischen Stadt sollte es nicht ersetzen.