Wenn Maria Gerber (Name geändert) morgens aufwacht, freut sie sich auf einen kalten Waschlappen oder einen Schwall kühles Wasser. Was zunächst wenig verlockend klingt, ist für die 84-Jährige der pure Luxus. Vier Mal in der Woche bekommt die Bewohnerin des Pflegeheims Siloah in Wolfertschwenden im Allgäu eine Kneipp-Anwendung. "Danach fühl ich mich wohl", sagt sie. Bislang sind naturheilkundliche Verfahren in der Pflege aber eine Ausnahme. Eine Studie hat nun erstmals deren Wirkung auf die Gesundheit von Pflegebedürftigen untersucht.
Die Ergebnisse des Pilotprojekts der Berliner Charité zusammen mit der Universität Bern, dem Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) in Berlin und dem Kneipp-Bund klingen ermutigend. Bei der Untersuchung der Bewohner von vier naturheilkundlich orientierten Kneipp-Seniorenheimen habe sich herausgestellt, dass deren Gesundheitszustand überdurchschnittlich gut sei, sagt Dörte Naumann vom ZQP-Institut.
89 Prozent der Bewohner gaben an, dass sich die Naturheilverfahren positiv auf ihre Gesundheit ausgewirkt hätten. Außerdem brauchten die Senioren dank der Naturheilkunde weniger Schmerz- und Schlafmittel. Hermine Heisler, Leiterin des Pflegeheims Siloah, kann das bestätigen. "Unseren Bewohnern tun die regelmäßigen Kneipp-Anwendungen sehr gut."
"Die Pflegerin hat etwas Besonderes mit mir gemacht"
Seit das Pflegeheim in Wolfertschwenden sich 2010 zum Kneipp-Seniorenheimen zertifizieren ließ, seien Erkältungskrankheiten im Winter kaum noch ein Thema, sagt Heisler. Außerdem seien die Bewohner dank Kneipp-Anwendungen ruhiger und zufriedener. Die persönliche Zuwendung, die die Senioren durch Güsse, Waschungen oder Bürstenmassagen bekämen, spiele eine große Rolle.
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Die Bewohner hätten dann das Gefühl: "Die Pflegerin hat etwas Besonderes mit mir gemacht." In der Folge erfahren auch die Mitarbeiter mehr Wertschätzung, wie die Studie ergab. Demnach sagen 90 Prozent der Pflegekräfte, dass sich ihr Verhältnis zu den Bewohnern dank der neuen Therapiemethoden verbessert habe. Die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten in den Kneipp-Heimen sei sehr hoch, bestätigt Naumann.
"Die Kneipp-Seniorenheime sind Pioniere"
Senioren profitieren von naturheilkundlichen Verfahren gesundheitlich, sagt auch Professor Benno Brinkhaus vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsmedizin an der Berliner Charité. Das Projekt sei aber lediglich ein erster Schritt. "Wir benötigen dringend mehr Forschung auf dem Gebiet der Prävention und Gesunderhaltung pflege- und hilfsbedürftiger Menschen, auch mit naturheilkundlichen Mitteln."
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Tatsächlich sei es schwierig, gesicherte Erkenntnisse über die Wirkung naturheilkundlicher Verfahren in der Pflege zu gewinnen, sagt Frederik Betsch von der Carl und Veronica Carstens Stiftung. Das Problem: Es gebe kaum Senioreneinrichtungen mit einem umfassenden naturheilkundlichen Konzept. "Die Kneipp-Seniorenheime sind hier Pioniere." Die Entdeckung naturheilkundlicher Verfahren in der Geriatrie stehe erst am Anfang. "In der Pflegewissenschaft ist das noch nicht richtig angekommen."
"Eine kalte Bauchwaschung dauert nicht länger, als wenn ich eine Tablette hole - und wirkt genauso gut"
Kneipp-Seniorenheime sind selten. Vor fünf Jahren zertifizierte der Kneipp-Bund die erste Senioreneinrichtung. Seitdem folgten bundesweit erst sieben weitere Heime. Laut Sigrid Raue vom Kneipp-Bund absolvieren derzeit vier weitere Heime ein Zertifizierungsverfahren.
Die Kneipp-Anwendungen, sagt Hermine Heisler, seien kein zusätzlicher Aufwand für das Personal, sondern würden in die normale Pflege integriert. "Statt der üblichen morgendlichen Körperpflege gibt es dann zum Beispiel eine Oberkörper-Kaltwaschung." Und wenn ein Bewohner nicht einschlafen kann, dann bekommt er im Pflegeheim Siloah eine kalte Bauchwaschung. "Das dauert auch nicht länger, als wenn ich eine Tablette hole. Und sie wirkt in der Regel genauso gut."