Militärhistoriker: Putin will nicht nach Berlin marschieren

Militärhistoriker: Putin will nicht nach Berlin marschieren

Potsdam (epd). Der Militärhistoriker Sönke Neitzel glaubt nicht, dass Russland in Warschau oder Berlin einmarschieren will. Russland werde sich eher auf ein begrenztes Testen der Nato konzentrieren mit dem Ziel, diese politisch zu zerstören, sagte der Professor an der Universität Potsdam der „Frankfurter Rundschau“ (Mittwoch). Gleichzeitig sei es denkbar, dass ein geplantes Manöver von Russland und Belarus im September dem Überfall Litauens diene.

„Man könnte also 100.000 Soldaten 30 Kilometer vor der weißrussischen Grenze nach Vilnius einmarschieren lassen“, sagte Neitzel. Das sei Russland operativ zuzutrauen, mehr aber auch nicht. Er hoffe, dass Europa in diesem Szenario bereit sei, seine Souveränität zu verteidigen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hätten „ja stets gesagt, dass jeder Quadratzentimeter Nato-Bodens verteidigt wird“. Ein Bundeskanzler müsste den unbedingten Willen entwickeln, ernsthafte Bundeswehr-Reformen umzusetzen.

Möglicherweise sei durch den Druck von US-Präsident Donald Trump der Moment gekommen, an dem die Europäer ähnlich wie die Briten und Franzosen 1939 aufwachen und erkennen, dass die Amerikaner sie nicht mehr so wie erhofft unterstützen werden, sagte der Historiker. Im März 1939 hatte Nazi-Deutschland Tschechien besetzt. Der entscheidende Unterschied zu damals sei, dass Hitler den Westmächten zwar zahlenmäßig unterlegen war, doch unter anderem moderne Technik auf seiner Seite hatte. „Russland hingegen hat durch den aktuellen Krieg kaum technologische Fortschritte gemacht - eher im Gegenteil“, sagte Neitzel.