Santiago, Parral (epd). In Chile haben am Sonntagnachmittag (Ortszeit) ehemalige Bewohner der deutschen Siedlung Colonia Dignidad für deren endgültige Auflösung und eine Entschädigung der Opfer demonstriert. Ein Dutzend Menschen blockierten für mehrere Stunden die Zufahrt zur Siedlung, die derzeit von ehemaligen Führungspersonen als Ausflugsziel für Touristen mit bayrischem Flair betrieben wird. Die Demonstranten verwiesen darauf, dass der heutige Tourismus- und Landwirtschaftsbetrieb vom ehemaligen Gründer der totalitären Gemeinschaft, Paul Schäfer, aufgebaut worden sei und ihnen die Löhne für 45 Jahre sklavenähnlicher Arbeit schulde.
Mit Blick auf den für Dienstag geplanten Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Chile kritisieren die ehemaligen Siedler fehlende Fortschritte beim Bau einer Gedenkstätte und zur effektiven Entschädigung der Opfer. In einer Pressemitteilung erklärten sie: „Neun Jahre, nachdem der damalige Außenminister Steinmeier die moralische Schuld des deutschen Staates anerkannt hat, gibt es viele Gesten, aber keine Taten.“
Die Colonia Dignidad, zu Deutsch „Siedlung der Würde“, wurde 1961 von Paul Schäfer gegründet, der wegen Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs aus Deutschland geflohen war. In Chile baute er ein Terrorregime auf. Zwangsarbeit und Missbrauch gehörten zum Alltag der Siedlungsbewohner. Schäfer unterstützte aktiv den Militärputsch von 1973 und verwandelte die Siedlung während der Diktatur von 1973 bis 1990 in ein geheimes Folterzentrum. Etwa 100 Menschen wurden in der Colonia Dignidad ermordet. Die Deutsche Botschaft in Chile war seit 1966 über die Zustände dort informiert, rühmte die Siedlung trotzdem jahrelang als Vorzeigeprojekt. Erst ab 1987 fand ein Umdenken statt. 2016 sagte der damalige Außenminister Steinmeier, die Botschaft habe „eindeutig zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute“ getan.
Seit 2017 existiert eine deutsch-chilenische Expertenkommission, die unter anderem die Umwandlung der zentralen Gebäude in eine Gedenkstätte vorgeschlagen hat. Als konkreten Schritt in diese Richtung kündigte der chilenische Präsident Gabriel Boric bei einem Besuch in Berlin im Juni 2024 die baldige Enteignung für einen Teil der Siedlung an. Menschenrechtsorganisationen kritisieren jedoch, dass mehr als acht Monate später noch nicht einmal festgelegt wurde, welche Gebäude enteignet werden sollen. Sie hoffen, dass beim Besuch von Bundespräsident Steinmeier weitere Ankündigungen gemacht werden.