TV-Tipp: "Tatort: Charlie"

Getty Images/iStockphoto/vicnt
2. März, ARD, 20.20 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Charlie"
In der Regel ist es kein gutes Zeichen, wenn das Drumherum eines Krimis fast spannender als die eigentliche Geschichte ist, aber in diesem Fall ergänzen sich beide Ebenen nahezu perfekt.

"Charlie", Fall Nummer 96 für das schon vor geraumer Zeit in Würde ergraute Duo aus München, ist während eines echten Nato-Manövers gedreht worden. Die Bilder sind zum Teil derart spektakulär, dass der "Tatort" stellenweise wie ein international produzierter Kinofilm wirkt. Die Dreharbeiten fanden größtenteils auf dem Truppenübungsplatz in Hohenfels statt, einem der größten hierzulande. Das "Joint Multinational Readiness Center" steht unter amerikanischer Verwaltung. Dass die US-Armee nicht nur die Dreh-Erlaubnis gab, sondern das Filmteam auch unterstützt hat, ist mehr als bemerkenswert. 

Eine der Bedingungen war womöglich, dass der Mörder kein Mitglied der Streitkräfte sein durfte, deshalb mischt sich Ivo Batic (Miroslav Nemec) unter die "Civilians on the Battle Field" (COB), eine Erfahrung, die Drehbuchautorin Dagmar Gabler vor einigen Jahren selbst machen durfte: Wie bei einem Film werden vor jedem Manöver Komparsen engagiert, die für 100 Euro pro Tag die Zivilbevölkerung von Kulissendörfern verkörpern und dafür in unterschiedlichste Rollen schlüpfen. Schon allein wegen dieser Einblicke in die Abläufe einer solchen Simulation ist der "Tatort" sehenswert, ganz zu schweigen von den beeindruckenden Hintergrundeindrücken mit Panzerkolonnen sowie Hubschraubern, die immer wieder mal durchs Bild knattern.

Wem bei solchen Aufnahmen das Herz aufgeht, wird große Freude an "Charlie" haben. Allen anderen spricht Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) aus dem Herzen, wenn er gegenüber Captain Miller (Yodit Tarikwa) von der Militärpolizei angesichts des Kriegsgeräts sein Unbehagen zum Ausdruck bringt. Der sich daraus entspinnende Disput führt zu einem unbehaglichen Moment, als Miller, die den Kommissar gerade noch ihrer Familie vorgestellt hat, ihm klar macht, dass sie sich ausgerechnet von einem Deutschen nicht über "militärische Pflichten und Moral belehren" lassen will.

Das Drehbuch hat ohnehin einige Subthemen zu bieten, die weit über die Lösung des Kriminalfalls hinausgehen, etwa ein Gespräch über Vergewaltigung als Kriegstaktik. Dennoch ist es Gabler und Regisseur Lancelot von Naso gelungen, der Handlung durchaus auch ironische Momente abzutrotzen. Beim ersten Besuch des Übungsgeländes sagt Leitmayr: "Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen." Wem’s bekannt vorkommt: Das Zitat stammt aus Francis Ford Coppolas Vietnam-Film "Apocalypse Now" (1979) und darf in keiner Würdigung des Schauspielers Robert Duvall fehlen. Dass Batic bei seiner "Undercover"-Mission ausgerechnet in die Rolle eines Polizisten schlüpft, ist ein ebenso beiläufiges Augenzwinkern wie der Status-Quo-Klassiker "You’re in the Army now". Zur Umgebung passt zudem der leichte Grünstich der Bilder (Kamera: Peter von Haller). 

Angesichts der vielen kleinen Geschichten am Rande, für die vor allem die Biografien der COBs sorgen, wird der eigentliche Anlass fast zur Nebensache: Am Flussufer vor den Toren Münchens entdecken Stand-Up-Paddler ein Militärfahrzeug der US-Armee. Am Steuer sitzt eine nur notdürftig bekleidete weibliche Leiche. Bei ihren Nachforschungen auf dem Stützpunkt stoßen Leitmayr und Batic in einem "Charlie" genannten Bunker auf einen gleichfalls nackten Toten. Die beiden Opfer gehörten zur Gruppe der COBs und waren offenkundig ein Liebespaar, weshalb der eifersüchtige Freund der Frau, ebenfalls als COB auf dem Gelände, prompt zum Hauptverdächtigen wird. 

Krimifans werden sich fragen, warum sich der Mörder die Mühe gemacht hat, mit der weiblichen Leiche fünfzig Kilometer durch die Nacht zu  fahren, und womöglich lautet die Antwort: Das ist der notwendige Vorwand, um die Kripo München ins Spiel zu bringen. Aber das ist eine Marginalie, die angesichts der inhaltlichen wie auch optischen Komplexität dieses Films nicht weiter ins Gewicht fällt. Diverse Begebenheiten, mal heiter, mal nachdenklich, sorgen für viel Abwechslung: hier die Begegnung Leitmayrs mit einigen "Schlachtenbummlern", selbstredend in Flecktarn, die ganz wuschig werden, als ein Chinook über sie hinwegdonnert; dort Batics Gespräch mit einer Frau (Dorka Gryllus), die wie er aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt und ihre Kriegserlebnisse als regelmäßige zivile Manöverteilnehmerin verarbeitet.

Anders als der Kollege hegt Batic große Sympathien für die US-Armee: weil der "Jugo-Krieg" ohne ihr Eingreifen noch länger gedauert hätte. Für Regisseur von Naso schließt sich mit "Charlie" ein Kreis: Sein damals unter anderem beim Prix Europa zum "Fernsehfilm des Jahres" gekürter Debütfilm "Waffenstillstand" (2010) spielte im Irak nach dem offiziellen Ende des Krieges.