Hamburg (epd). Der Tod des Hamburger Historikers und Theologen Thomas Großbölting (55) infolge eines ICE-Unfalls hat breite Bestürzung ausgelöst. Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, würdigte Großbölting am Donnerstag als Menschen, der sich stets mit einem „unverrückbaren Sinn für Recht und Unrecht“ für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen eingesetzt habe.
Großbölting, der an mehreren Studien zu Missbrauch in der Kirche beteiligt war, starb am Dienstag. Der ICE war in Hamburg auf einem Bahnübergang mit einem Sattelschlepper zusammengestoßen. Dabei wurden auch mehrere Menschen verletzt.
Claus sagte weiter, Großbölting sei durch seine klare und ruhige Art, mit der er geschehenes Unrecht, systemisches Vertuschen und institutionellen Täterschutz aufgedeckt und benannt habe, zu einer der maßgeblichen Stimmen geworden, die konkretes Handeln in den Kirchen eingefordert habe. Mit ihm verlören Betroffene einen, „der stets an ihrer Seite stand“, sagte Claus.
Der Betroffenenrat bei der Missbrauchsbeauftragten erklärte: „Wir verlieren mit ihm einen konsequenten Streiter für unsere Rechte und Anliegen.“ Es sei Großbölting wichtig gewesen, durch konsequente Aufarbeitung auch ein Stück weit zur Gerechtigkeit beizutragen.
Der Wissenschaftler war seit 2020 Professor für Neuere Geschichte/Zeitgeschichte an der Universität Hamburg und Direktor an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Seit Ende 2022 war er zudem geschäftsführender Direktor der Akademie der Weltreligionen. Öffentlich bekannt wurde er besonders durch seine Studien zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt etwa im Bistum Münster oder als Mit-Autor der evangelischen ForuM-Studie, die im Januar 2024 veröffentlicht wurde.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, sagte, Großbölting verdiene höchste Anerkennung. Er sei „ein kritischer und zugleich konstruktiver Begleiter der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in den Kirchen“ gewesen. „In Gedanken und Gebeten sind wir bei ihm und seiner Familie und allen, die um ihn trauern“, sagte die Hamburger Bischöfin laut Mitteilung der EKD.
Der Münsteraner Bischof Felix Genn sagte, Aufarbeitung sei für Großbölting „kein Forschungsprojekt wie jedes andere“ gewesen: „Bei jeder Begegnung mit ihm spürte ich, wie sehr das, was Priester und andere Mitarbeitende der katholischen Kirche Menschen durch sexuellen Missbrauch und seine Vertuschung angetan haben, ihn auch persönlich mitnahm, anrührte und zu Recht zornig machte“, sagte Genn laut Mitteilung des Bistums.
Ebenfalls bestürzt reagierte die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp. Mit Entsetzen habe sie von dem tragischen Unfalltod erfahren, heißt es in einer Mitteilung des ZdK. Er sei in der katholischen Laienorganisation als „renommierter Historiker“ wohlbekannt gewesen, unter anderem als Gast einer Vollversammlung.
Die Forschungsstelle für Zeitgeschichte hatte bereits am Mittwochabend kondoliert. Als Direktor habe Großbölting die Forschungsstelle mit neuen Impulsen und frischen Ideen geprägt. „Er hatte noch viel vor“, hieß es in der Mitteilung. Großbölting hinterlässt eine Frau und vier Kinder.