Umfrage: Mehrheit für Maßnahmen gegen soziale Ungleichheit

Umfrage: Mehrheit für Maßnahmen gegen soziale Ungleichheit
Böckler-Stiftung kritisiert mangelhaften Kampf gegen Armut
Der deutsche Staat tut für eine Mehrheit der Erwerbstätigen und Arbeitssuchenden zu wenig gegen soziale Ungleichheit. Das ergab eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Kritik äußert diese auch am Kampf gegen Armut.

Düsseldorf (epd). Der Staat macht einer Umfrage zufolge zu wenig gegen soziale Ungleichheit in Deutschland. Rund 60 Prozent von etwa 7.000 befragten Erwerbstätigen und Arbeitssuchenden in Deutschland teilen diese Einschätzung, wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am Dienstag in Düsseldorf mitteilte. Nur rund 15 Prozent der befragten Erwerbspersonen vertraten die gegenteilige Ansicht. Für eine Studie hatte das WSI neben der eigenen Erwerbspersonenbefragung Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ab 2010 ausgewertet.

Knapp 50 Prozent der Befragten waren überzeugt, dass Menschen mit geringem Einkommen besser als bisher unterstützt werden sollten. Nur eine Minderheit von rund 20 Prozent stimmte dieser Aussage ausdrücklich nicht zu. „Menschen in Deutschland wünschen sich also eine starke Rolle des Staates in der Einkommensverteilung“, erklärten Studienautorin Dorothee Spannagel und Studienautor Jan Brülle.

Die Meinung, der Staat solle Ungleichheit stärker bekämpfen, sei besonders bei Personen mit niedrigem Einkommen ausgeprägt und nehme mit steigendem Einkommen tendenziell ab. Dabei sei festzustellen, dass die Zustimmung für die Bekämpfung der Ungleichheit bis in die obere Mitte der Einkommensverteilung überwiegt.

Deutschland hat nach Einschätzung der Forschenden bei der Bekämpfung von Einkommensungleichheit und Armut nachgelassen. Zwar wirkten sowohl das Steuersystem als auch der Sozialstaat in Richtung sozialer Ausgleich, doch im Zeitverlauf sei dieser Effekt weniger stark als in früheren Jahren.

Laut Spannagel und Brülle haben „vor allem wohlfahrtsstaatliche Leistungen in ihrer armutsschützenden und ungleichheitsreduzierenden Wirkung nachgelassen“. So sei beispielsweise die Entwicklung der Regelsätze des Arbeitslosengeldes II im Untersuchungszeitraum bis 2021 deutlich hinter der Lohnentwicklung zurückgeblieben. Es habe vielfach auf einem Niveau verharrt, das unterhalb der Armutsschwelle liegt. Auch die staatliche Rente wirke weniger stark gegen Ungleichheit und Armut als früher, was die Forschenden auf eine Kombination aus sinkendem Rentenniveau und fehlender Mindestsicherung im Alter zurückführen.

„Die 2010er Jahre hätten eigentlich gute Voraussetzungen geboten, weniger Ungleichheit zu erreichen und Armut zu verringern - doch trotz des jahrelangen Wirtschaftswachstums und relativ geringer Arbeitslosigkeit haben Einkommenskonzentration und Armut in dieser Zeit zugenommen“, betonten Spannagel und Brülle. Daher müsse dieser Zeitraum als „verlorenes Jahrzehnt“ im Kampf gegen Armut und Ungleichheit betrachtet werden.

„Unsere und die Forschung anderer Institutionen zeigt, dass Zukunftssorgen und Angst, künftig im Lebensstandard abzurutschen, in den vergangenen Jahren zugenommen haben und dass solche Sorgen oft mit Entfremdung von demokratischen Institutionen einhergehen“, sagte die Wissenschaftliche Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch. Deshalb sei es „umso irritierender“, dass die Forderungen nach Sozialabbau im Bundestagswahlkampf „eine erhebliche Rolle“ spielten.