Berlin (epd). Bis zur Bundestagswahl wird es sehr wahrscheinlich keine Liberalisierung des Abtreibungsrechts mehr geben. Nach einer öffentlichen Anhörung zu einem Gesetzentwurf, der eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Frühphase vorsieht, wurde am Montagabend unmittelbar keine weitere Sitzung des zuständigen Rechtsausschusses zu dem Thema anberaumt. Sie wäre notwendig, um den Antrag noch zur Abstimmung ins Plenum des Parlaments zu überweisen. Das Plenum kommt bereits am Dienstag absehbar zum letzten Mal in dieser Legislaturperiode zusammen.
Die Initiatorinnen erklärten im Anschluss, sie wollten als Gruppe eine Abstimmung „nur mit einer klaren demokratischen Mehrheit erwirken“. Ohne positive Signale von der Union und der FDP riskiere man eine Zufallsmehrheit mit Stimmen der AfD. „Diese rote Linie überschreiten wir nicht“, heißt es in einer von der Abgeordneten Carmen Wegge (SPD) verbreiteten Erklärung der Gruppe. Union und FDP wird darin vorgeworfen, „übliche parlamentarische Vorgänge“ nicht zu ermöglichen.
Der Gruppenantrag von Abgeordneten aus den Reihen von SPD, Grünen und der Linken sah vor, dass Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche nicht mehr im Strafrechtsparagrafen 218 geregelt werden, also grundsätzlich erlaubt sind. Die Beratungspflicht für Frauen sollte beibehalten, die Wartezeit von drei Tagen zwischen Beratung und Abbruch aber gestrichen werden. Die Kosten sollen künftig die Krankenkassen übernehmen. 328 Abgeordnete hatten den Entwurf mitgezeichnet. Eine Mehrheit für die Verabschiedung im Bundestag wäre damit möglich gewesen.
Der Entwurf wurde erst nach dem Bruch der Ampel-Koalition in den Bundestag eingebracht. Zuvor hatte es vor allem in der FDP Vorbehalte gegen eine Liberalisierung gegeben. Bei den Beratungen im Rechtsausschuss des Bundestags über den Gesetzentwurf wurde gegen den Wunsch der Gruppenantragsteller die Anhörung für einen sehr späten Zeitpunkt angesetzt. Damit war ein Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens von vornherein mit Hürden versehen. Die Initiatorinnen des Gesetzentwurfs hatten bis zuletzt gehofft, dass die FDP zumindest eine Abstimmung mit ermöglicht. Mit den Stimmen der Liberalen hatte es dafür im Ausschuss eine Mehrheit gegeben.
In der Anhörung am Montag hatte einer der von der FDP benannten Sachverständigen sogar für den Gesetzentwurf geworben. Der Strafrechtler Karsten Gaede bezeichnete den Paragrafen 218 als widersprüchlich, weil er anders als im Strafrecht vorgesehen nicht „unverbrüchliche Normen“ schütze, sondern durch die mögliche Straffreiheit praktisch keine Rechtsfolgen habe. Diese Widersprüchlichkeit zu beseitigen, wäre ein Fortschritt, sagte Gaede.
Drei Stunden wurden im Rechtsausschuss des Parlaments Sachverständige aus Medizin, Rechtswissenschaft und von Organisationen von den Abgeordneten befragt. Neben der rechtlichen Einschätzung stand dabei auch die Frage im Zentrum, ob eine Liberalisierung die Versorgungslage ungewollt schwangerer Frauen verbessern könnte.
Die Gynäkologin Alicia Baier bejahte das. Die aktuelle Rechtslage schrecke viele Ärztinnen und Ärzte davon ab, Abbrüche vorzunehmen, sagte Baier, die dem Vorstand der Organisation „Doctors for Choice Germany“ angehört. Die Gesundheitswissenschaftlerin Rona Torenz, die im Rahmen der „Elsa“-Studie die Versorgungslage ungewollt schwangerer Frauen untersucht hatte, begrüßte die mit der Legalisierung verbundene Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Die Daten zeigten, dass etwa jede fünfte Person, die eine Schwangerschaft in Deutschland abbricht, Schwierigkeiten habe, für die Kosten rund um den Schwangerschaftsabbruch aufzukommen.
Der Berliner Gynäkologe Matthias David bestritt dagegen Versorgungsmängel. „Die Versorgungslage mit Schwangerschaftsabbrüchen ist nicht prekär“, hieß es in seiner Stellungnahme.
Vor der Anhörung hatte ein Bündnis von Organisationen am Montag vor dem Bundestag für die Gesetzesänderung demonstriert und eine Petition mit mehr als 300.000 Unterschriften an Abgeordnete übergeben. Sie verwiesen auf die verschiedenen Umfragen zufolge hohe Zustimmung zu einer Liberalisierung des Abtreibungsrechts in der Bevölkerung.