Begleiter:innen für schwere Momente

Ehrenamtliche entlasten Eltern von lebensverkürzend erkrankten Kindern
epd-bild/Detlef Heese
Ehrenamtliche entlasten Eltern von schwer erkrankten Kindern - viele Erziehende müssen selbst mit ihren Kräften haushalten.
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Begleiter:innen für schwere Momente
Erik und Sven haben eine Krankheit, die dazu führt, dass sie ihre geistigen und motorischen Fähigkeiten nach und nach verlieren. Ehrenamtliche vom Kinderhospizdienst kümmern sich einmal pro Woche um die Brüder und entlasten damit die Eltern. Am Montag,10. Februar, würdigt der Tag der Hospizarbeit die Arbeit aller Beteiligten.

Ganz nah beieinander sitzen Erik und Martina auf der Bank in der kleinen Turnhalle in Hagen bei Osnabrück. Beide warten, dass die Physiotherapie beginnt. Währenddessen isst Erik Kekse, die Martina Strathmann ihm reicht. Genüsslich kauend schaut der 21-Jährige seine Begleiterin an. "Noch ein Keks?", fragt Martina, Erik greift zu.

Der junge Mann braucht Betreuung wie ein Kleinkind, kann nicht sprechen. Mit einem lauten "Aaaah" oder "Baaaah" drückt er mal Ärger, mal Wohlbefinden, mal irgendetwas dazwischen aus. Physiotherapeutin Alexandra hat einen Parcours aus Matten, schiefen Ebenen, Wackelkissen und Mini-Hürden aufgebaut. An der Hand von Martina und Alexandra macht Erik sich vorsichtig, Fuß vor Fuß setzend, auf den Weg: "Das machst du super heute", lobt Martina.
Die 63-Jährige ist schon seit neun Jahren Eriks ehrenamtliche Begleiterin.

Fast genauso lange wie ihre Kollegin Angelika Niebusch (59) für Sven da ist, den zwei Jahre jüngeren Bruder. Vermittelt wurden sie vom ambulanten Kinderhospizdienst Osnabrück, um die Eltern Anke und Bernard Siemeister zu entlasten. Beide Jungen haben eine erblich bedingte Stoffwechelserkrankung. Mukopolysaccharidose (MPS) Typ III führt ab dem Kleinkindalter zu Hyperaktivität sowie einem fortschreitenden Verlust geistiger und motorischer Fähigkeiten. Die Ärzte schätzten die Lebenserwartung der Brüder zunächst auf 12 bis 14 Jahre.

Etwa 100.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland haben wie Erik und Sven eine sogenannte lebensverkürzende Erkrankung. Die weitaus meisten werden von ihren Eltern betreut und gepflegt. Mehr als 10.000 Ehrenamtliche, zumeist Frauen, begleiten laut Deutschem Kinderhospizverein die Familien.

Hauptamtliche Koordinatoren in den Hospizdiensten qualifizieren die Ehrenamtlichen in Kursen, reflektieren die Arbeit in regelmäßigen Gesprächskreisen, wie Marcel Globisch vom Vorstand des Deutschen Kinderhospizvereins erläutert. "Darüber hinaus übernehmen sie für die Familien eine Art Lotsenfunktion durch den Dschungel an Paragrafen und Leistungen etwa für Gelder, Hilfsmittel oder die Beschulung der Kinder."

Medizinischer Fortschritt verlängert das Leben

Zwar sei die Zahl der Ehrenamtlichen in den vergangenen Jahren gestiegen, sagt Chung Yin Tang, leitender Koordinator des ambulanten Kinderhospizdienstes Osnabrück. Aber auch der Bedarf steige - vor allem dadurch, dass viele Patienten aufgrund des medizinischen Fortschritts immer älter würden. Derzeit werde in vielen Diensten diskutiert, die Grenze der Betreuung von jungen Erwachsenen, die derzeit bei 27 Jahren liegt, fallen zu lassen. "Bei uns werden die ersten Klienten im kommenden Jahr 28. Da wäre es irritierend, ihnen sagen zu müssen, dass die Begleitung ab diesem Zeitpunkt endet", sagt Tang.

Auf dem Weg zur Physiotherapie der beiden Brüder Erik (r) und Sven Siemeister (2.l.) mit den ehrenamtlichen Begleiterinnen Angelika Niebusch und Martina Strathmann (l).

Das Ehrenamt im Kinderhospizdienst schrecke aber auch immer noch viele Menschen ab. "Sie denken, es geht dabei ausschließlich um Sterbebegleitung", berichtet Tang. Zuallererst seien die Ehrenamtlichen jedoch Lebensbegleiter - oft über viele Jahre. "Sie müssen bereit sein, die leichten und die schweren Momente des Lebens mitzutragen."

Für Familie Siemeister sind Martina Strathmann und Angelika Niebusch ein Geschenk: "Sie schenken uns Zeit", sagt Vater Bernard (56). Die beiden Söhne benötigen ständige Begleitung und Aufsicht. Sie haben einen großen Bewegungsdrang und sind oft unberechenbar.

Spazieren gehen und Pizza Essen

Die beiden Ehrenamtlichen sind ein eingespieltes Team. Jeden Dienstag holt Angelika die beiden Jungen bei Familie Siemeister zu Hause in Kattenvenne, einem Dorf zwischen Osnabrück und Münster, ab und fährt mit ihnen zur Physiotherapie. Dort wartet Martina schon. Während sie Erik bei der Physiotherapie hilft, geht Angelika mit Sven im Park spazieren. Nach einer halben Stunde ist Wechsel. Zum Abschluss gehen alle vier gemeinsam Pizza essen. "Und dann bringt Martina unsere Jungs satt, abgekämpft und zufrieden nach Hause", sagt Anke Siemeister (53) lächelnd.

Als das Paar damals die Diagnose mit der erwarteten Lebenszeit ihrer Söhne bekam, reduzierten beide ihre Arbeitszeit auf 50 Prozent: "Die Zeit, bis unsere Söhne sterben, ist uns so wertvoll, dass wir sie selbst betreuen wollen", sagt der Vater. Seine Frau erinnert sich: "Ich habe anfangs gedacht, danach kann ich immer noch beruflich durchstarten." Das Betreuungssystem der Siemeisters war ausgeklügelt und auf Kante genäht: "Wir haben uns oft die Klinke in die Hand gegeben", erzählt der Vater, der seinen Job mittlerweile aufgegeben hat. Seine Frau ergänzt: "Ich habe immer gesagt, das funktioniert nur, solange wir fit und gesund bleiben."

Zweimal erkrankte Anke Siemeister in den vergangenen Jahren an Krebs. "Aber wir hatten schon vorher realisiert, dass wir mit unseren Kräften haushalten müssen", sagt sie. Martina und Angelika haben die Familie damals schon unterstützt. Zusätzlich hat der ambulante Kinderhospizdienst weitere Hilfen organisiert.

Angelika, Martina und die Jungen haben mittlerweile in der Pizzeria Platz genommen. Erik lässt sein lautes "Aaah" hören, Sven antwortet mit "Pali, Pali" und fuchtelt mit den Armen. Die beiden Frauen erinnern sich an viele vergangene Unternehmungen mit ihren beiden Schützlingen: Fahrradfahren, Schwimmen, lange Spaziergänge mit Picknick. "Früher hat Erik oft lustige Sachen erzählt. Inzwischen ist er ruhiger geworden", erzählt Martina lächelnd. "Sven ist immer noch eher der Draufgänger und lacht viel", sagt Angelika und blickt Sven in die Augen. Da lacht er schon wieder.

Der Deutsche Kinderhospizverein (DKHV) macht mit dem bundesweiten Tag der Kinderhospizarbeit am 10. Februar auf die Situation lebensverkürzend erkrankter Kinder und deren Familien aufmerksam. An den über 30 Standorten des DKHV informieren haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende über die Angebote der Kinder- und Jugendhospizarbeit, wie der Verein in Olpe ankündigte. Als Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen dienen grüne Bänder, die man an die Kleidung oder ans Auto binden kann.