Frau ?ileli, Sie sind Expertin für die islamische Kultur und haben selbst erlebt, welche Verbrechen im Rahmen von traditionalistisch verstandenem Islam geschehen können. Ein Element, das in der Scharia benannt wird, sind dabei die so genannten Streitschlichter, die bei Auseinandersetzungen eingreifen und "helfen", Probleme zwischen zerstrittenen Muslimen zu regeln. Dies bedeutet häufig, dass auch schwere Straftaten nicht gerichtlich geregelt werden, sondern durch einen internen Vergleich zwischen den verfeindeten Parteien verhandelt werden. Wie einflussreich sind diese Streitschlichter?
Serap ?ileli: Das erste Problem beginnt bereits bei der Bezeichnung "Streitschlichter" oder "Friedensrichter". Diese suggerieren eine positive Konnotation und verstärken sich durch den Begriff "Richter". Diese sogenannten Friedensrichter sind in erster Linie Privatleute ohne juristische Ausbildung. Zum einen sind es Imame, die diese Schlichtung praktizieren und diese Lehren weitergeben. Die Streitschlichtung ist ein Teil ihrer religiösen und kulturellen Werteordnung. Und zum anderen sind das lediglich Familienälteste oder Clanchefs, deren Funktion als Schlichter auf ihrer Autorität und Macht basiert und zum Teil höher angesehen wird als die der deutschen Polizei und deutschen Justiz.
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Diese Laiengerichtsbarkeit basiert auf drei Prinzipien: Schlichtung, Strafverzicht gegen finanzielle Wiedergutmachung und Selbstjustiz. Wir wissen, dass es Schariarichter gibt, die in muslimischen Milieus arbeiten, aber wir wissen nicht, wie viele aktiv sind. Ich bezweifle, dass selbst das Bundesjustizministerium uns darüber Zahlen noch realistische Einschätzungen geben kann. Wir können davon ausgehen, dass dies kein Massenphänomen ist, aber dennoch in einigen Teilen Deutschlands starke Verbreitung findet.
Der Einfluss der Schariarichter ist umfassend und diese Rechtsbeugung führt in manchen Fällen sogar soweit, dass Strafverfahren eingestellt werden müssen oder Angeklagte ohne oder mit milden Strafen davon kommen. Der Dezernatsleiter "Organisierte Kriminalität" im LKA Berlin, Carsten Wendt, erklärt, dass das Rechtssystem ausgehebelt werde und man mit den bisherigen polizeilichen Mitteln der Nebenjustiz nicht beikommen könne. Dies zeigt uns, dass der Staat nicht entschieden genug hinschaut und handelt, während die islamische Paralleljustiz unseren Rechtsstaat gefährdet. Ich fürchte sogar noch mehr; das Amt des Schariarichters, die islamische Paralleljustiz und die islamische Parallelgesellschaft werden durch "Sympathie und Akzeptanz" der deutschen Behörden und Politikern, langsam zum Blühen gebracht. Wohl wissend über die hochgefährlichen Folgen der Selbstjustiz durch Schariarichter.
"Manchmal wird die Opferfamilie auch unter
ernormen Druck gesetzt, damit sie
die Aussage verweigert, ändert oder widerruft"
Wo sind die Grenzen des Wirkungsbereichs der Streitschlichter?
?ileli: Die Grenzen sind nicht eindeutig zu identifizieren. Juristisch betrachtet können zum Beispiel Morde selbstverständlich nicht außerhalb der deutschen Gerichtsbarkeit geregelt werden. Jedoch ist es durchaus möglich, dass sich das in der Praxis anders verhält. Die Möglichkeit Blutgeld gegen Blutrache einzutauschen ist ein Weg, die Strafverfolgung auszubremsen. Wenn sich die beteiligten Parteien, also Täter- und Opferfamilie außergerichtlich einigen und die Ermittlungsbehörden ihre Beweise hauptsächlich auf Zeugenaussagen stützen, so kann es passieren, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren aus Mangel an Beweisen einstellen muss, weil alle Beschuldigten und Zeugen die Taten bestreiten oder von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen.
Es kommt auch vor, dass die Tat gerne einem Familienmitglied zugeschoben wird, das die geringste oder gar keine Strafe zu erwarten hat. Manchmal wird die Opferfamilie auch unter ernormen Druck gesetzt, damit sie die Aussage verweigert, ändert oder widerruft. Das Resultat ist dann bei genauerer Betrachtung das Ergebnis von Druck und Erpressung anstatt Gerechtigkeit.
Wie nehmen Sie diese Parallelgesellschaft wahr?
?ileli: In solchen unkontrollierbaren, islamischen Parallelstrukturen, in denen eine Schlichtungskultur herrscht, kennen die Menschen kein anderes Recht als die Scharia. Vor allem bei Straftaten gegenüber Frauen führen solche Parallelstrukturen im Bereich der Strafrechtspflege zu enormem Leid bei einer unüberschaubaren Anzahl von Opfern.
Wenn statt geltendem Recht das Recht der Scharia gilt, dann wird die hiesige Rechtsordnung aber unterhöhlt. Wie kann man die traditionelle islamische Community mehr in den Rechtsstaat integrieren?
?ileli: Der Bundesanwalt Jörn Hauschild geht davon aus, dass in 90 Prozent aller Strafverfahren mit Tätern und Opfern aus dem muslimischen Kulturkreis die Schlichtungen nicht bekannt werden. Kirsten Heisig (Jugendrichterin) berichtete, dass in 60 Prozent der Verfahren die Beteiligten ausgesagt hätten, dass sie sich bereits untereinander geeinigt hätten, ohne weitere Angaben zu den Details zu machen. Das bedeutet, dass wir nicht wissen, wer wie und wann Einfluss auf die Verfolgung von Straftaten nimmt.
Diese Schattenjustiz muss genauer beobachtet und vor allem in die Verantwortung genommen werden, wenn Schariarichter eine Strafverfolgung durch ihr Einschreiten verhindern oder verfälschen. Die juristischen Schlupflöcher müssen gestopft werden, damit ein Ausweichen auf Schariarichter unmöglich wird. Zum Beispiel sollten Zeugen ihre ersten Aussagen nicht mehr einfach so widerrufen können, weil die Aussagepsychologie besagt, dass die meisten Opfer kurz nach der Tat am ehrlichsten aussagen.
"Oftmals fehlen ihnen die kulturellen und
religiösen Kenntnisse im Umgang
mit Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis."
Opfer von islamischen Institutionen wie dem Streitschlichter sind oft Frauen. Die an ihnen begangenen Verbrechen werden ausgehandelt, häufig zu ihrem Nachteil. Wie kann man insbesondere Frauen bestärken, ihre rechtlich gegebenen Handlungsoptionen voll auszuschöpfen?
?ileli: Sowohl die deutsche Gesellschaft, als auch die deutschen Behörden und Justiz müssen sensibilisiert werden. Oftmals fehlen ihnen die kulturellen und religiösen Kenntnisse im Umgang mit Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis. Die Ermittlungsbehörden und die Gerichte sollten speziell geschultes Personal einsetzen, um die Vorgänge im Hintergrund besser einschätzen zu können. Selbstverständlich können sie hierbei auf die langjährige Erfahrung einiger Krisen- und Hilfseinrichtung, wie meinem Verein, Peri e.V., zurückgreifen. Abgesehen davon gilt es natürlich, wie bereits erwähnt, die juristischen Lücken zu schließen und Schariarichter stärker zu reglementieren, damit es erst gar nicht soweit kommt, dass Verbrechen, die an Frauen begangen wurden, ausgehandelt werden.
Kann dies zum Beispiel durch verstärkte Bildungsanstrengungen geschehen? Sie selbst engagieren sich ja zum Beispiel für Deutschunterricht für Migrantinnen.
?ileli: Bildung ist ein Schlüssel, aber nicht das alleinige Erfolgsrezept. Im Rahmen meiner Tätigkeit biete ich mehr als nur Deutschunterricht. Mein Verein und ich betreuten in erster Linie junge Frauen und Mädchen, aber auch junge Männer in jeglichen Notlagen. Wir unterstützen sie juristisch, medizinisch, aber vor allem menschlich. Betroffene Mädchen und junge Männer benötigen Vertrauen, Vertrauen in die Organisation und die Menschen, die dort tätig sind. Mit Vertrauen und Aufklärung können wir viel erreichen. Dazu brauchen wir aber natürlich die Mithilfe und Unterstützung der Behörden und der Gesellschaft.