Am ehesten kommt sie noch in Popsongs vor, die Vergebung. "Please forgive me", sang Bryan Adams einst. Manchmal auch in der Politik: "Wir werden einander viel verzeihen müssen", sagte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) 2020 zu Beginn der Corona-Pandemie. Und natürlich in der Kirche: "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern" beten weltweit 2,6 Milliarden Christen im Vaterunser.
Im alltäglichen Miteinander hingegen hört man die Worte "Ich vergebe Dir" kaum noch. "Das Wort Vergebung mag altertümlich klingen", sagt Ernst-Wilhelm Gohl, Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Aber das Thema sei von zeitloser Aktualität. Denn ohne Vergebung sei ein gutes Miteinander in Familie und Gesellschaft kaum möglich. "Wir tun uns mit der Vergebung dann schwer, wenn wir nicht erkennen, dass wir selbst immer wieder schuldig werden", sagt der Theologe im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
"Wenn ich selbst aus der Vergebung lebe, kann ich auch anderen leichter vergeben." Das sei allerdings ein lebenslanges Lernen, so der Geistliche.
Wer vergeben kann, tut sich selbst etwas Gutes, sagt Doris Wolf, Psychologin aus Mannheim, im Gespräch mit dem Gesundheitsmagazin der AOK: "Wenn wir einem anderen Menschen oder uns selbst vergeben, kehrt innerer Frieden ein und wir können wieder in der Gegenwart leben." Wer nicht verzeihen könne, dessen Körper sei in einem permanenten Alarmzustand. Das könne sich in Erschöpfung und Schlafstörungen äußern, aber auch Muskelverspannungen und Herz-Kreislauf-Probleme verursachen.
Nicht wenige Menschen täten sich auch deshalb schwer mit der Vergebung, weil sie Verzeihen mit Gutheißen verwechselten, sagt Wolf. Jemandem zu vergeben bedeute aber nicht, dass er sich richtig verhalten habe, sagt sie. Man erteile dem anderen damit auch keinen Freibrief, sich weiter so zu benehmen. "Wir tun es zunächst einmal unseretwegen." "Vergebung macht mich wieder frei", sagt Jörg Berger, Psychotherapeut aus Heidelberg, dem epd. "Ich lasse etwas los, was mir eigentlich zustehen würde: Wiedergutmachung, Vergeltung oder öffentlich mein Recht zu bekommen."
Jemandem zu verzeihen, dem es leid tue, sei gesund, so der Autor des Buches "Wie überlebe ich schwierige Menschen?". Aber was ist mit solchen, die das Unrecht nicht einsehen oder immer wieder enttäuschen oder verletzen? "Hier sagt die Psychologie: Die negative Erfahrung ernst nehmen und sich schützen lernen - und trotzdem vergeben, weil die schlechte Erfahrung sonst emotional vergiftet." Gibt es Dinge, die nicht zu vergeben sind?
"Es gibt keinen anerkannten Katalog, in dem wir nachschauen können, was unverzeihlich ist und was nicht", sagt Doris Wolf. Es sei stets eine innerliche und höchstpersönliche Entscheidung, zu verzeihen. "Natürlich darf man die Bitte um Vergebung auch ausschlagen", sagt auch Ernst-Wilhelm Gohl. "Einen Zwang zur Vergebung gibt es nicht - auch für Christen nicht", so der Theologe weiter. Manche Schuld sei so groß, dass sie die menschliche Vergebungsfähigkeit übersteige: "Da bleibt mir nur, Schuld und Vergebung in Gottes Hand zu legen."