Münster (epd) Menschen mit Behinderung, die ihre Umgebung durch auffälliges Sozialverhalten in schwierige Situationen bringen, dürfen laut der Forscherin Sabine Schäper nicht zum "Problem definiert werden". Vielmehr sollten Angehörige und Betreuungspersonen versuchen "zu verstehen, welche innere Not hinter dem Verhalten liegt", sagte die Pädagogin und Professorin der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bei Kindern mit kognitiven Beeinträchtigungen kämen Verhaltensweisen, die von anderen als herausfordernd erlebt würden, vergleichsweise häufig vor, erklärte die Expertin für Behindertenhilfe. Dazu gehörten auffälliges Sozialverhalten, wie Weinen oder Schreien, aber auch Beleidigungen oder Drohungen. Auch komme es zu aggressivem Verhalten gegenüber Personen oder der Zerstörung von Sachen.
Schäper sieht in diesem Verhalten den „Ausdruck einer inneren Not, aus der es keinen anderen Ausweg zu geben scheint“. Daher müssten Betreuungspersonen und Angehörige versuchen zu verstehen, in welcher Bedrängnis sich der behinderte Mensch befinde: Sind die Verhaltensweisen Ausdruck eines bestimmten Willens, der nicht berücksichtigt wird? Ist die Person mit einer Anforderung überfordert? „Die Berücksichtigung der Interessen der Person ist der Schlüssel hin zu einer Lösung“, ist die Sozialpädagogin und Theologin überzeugt.
Die Expertin fordert eine „Haltung des zugewandten Verstehens“. Die sei keine Frage des Personalschlüssels in Einrichtungen. Allerdings brauche es in der Behindertenhilfe fachliches Wissen und methodisches Können, „um mit der Person gemeinsam Alternativen zu selbst- und fremdgefährdenden Verhaltensweisen zu entwickeln“. Je weniger in einer konkreten Situation klar sei, warum sich eine Person aggressiv verhalte, umso weniger adäquat könne eine Antwort darauf sein. Und: „Je hilfloser sich Betreuungspersonen fühlen, umso mehr greifen sie auf rigorose Maßnahmen zurück“ - bis hin zu freiheitsentziehenden Maßnahmen.
Schäper kritisierte, dass es den betroffenen Familien „oftmals an leicht zugänglicher Unterstützung fehlt“. Es brauche niedrigschwellige Zugänge und Fachkompetenz in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der psychotherapeutischen Versorgung. Zudem seien Frühförderung, eine wohnortnahe Versorgung mit Kita-Plätzen und eine bedarfsgerechte Beschulung notwendig. „All diese präventiven Maßnahmen helfen, eine Eskalation von Verhaltensweisen zu verhindern“, sagte Schäper.