"Wenn verkrustete Strukturen aufbrechen, kann dies für die Demokratie auch eine Chance sein. Instabilität ist nicht unbedingt krisenhaft", sagt die Gießener Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Allerdings erlebten viele Menschen die aktuellen sozioökonomischen Verunsicherungen als bedrohlich. Sie hätten Angst vor tiefgreifenden Veränderungen, vor Gewalt und Katastrophen. "Es ist dieser Geruch der Verunsicherung und Angst in der Luft", sagt die Parteienforscherin. Es gebe offenkundig einen Mangel an Zuversicht und Vertrauen.
Zugleich verweist de Nève auf den politischen Rechtsruck in vielen europäischen Ländern und darüber hinaus. Die Ursachen seien komplex, erklärte die Wissenschaftlerin: "Der Rechtsruck ist einerseits eine Reaktion auf gesellschaftliche Modernisierungskrisen und -ängste sowie auf die mangelnde Problemlösungsfähigkeit politischer Systeme." Verstärkend wirke zudem die wachsende soziale Ungleichheit, die Neiddebatten und Verteilungskämpfen den Nährboden biete.
Um die westlichen Demokratien zu stabilisieren, brauche es "neue Ideen und Wege, um Allianzen wiederzubeleben oder zu bilden". Es gebe inzwischen viele Parteien, die beispielsweise den europäischen Gedanken ablehnten und die Solidarität aufkündigten, erklärt die Wissenschaftlerin. Angesichts grenzüberschreitender Probleme wie Klimawandel oder globale Konkurrenz seien jedoch nationale Alleingänge nicht Erfolg versprechend. De Nève: "Insofern bin ich davon überzeugt, dass wir die europäische Idee stärken und leben müssen."
Konkret könnten außerdem Parteien ihren Mitgliedern wieder vermehrt ermöglichen, die politischen Entscheidungen aktiv mitzugestalten. Auch andere Formen der politischen Teilhabe, etwa im Klimaschutz oder in der Sozialpolitik, müssten als gleichwertiges Engagement von Bürgerinnen und Bürgern mehr Wertschätzung erfahren. Dazu gehörten die ehrenamtliche Arbeit für sozial benachteiligte und ausgegrenzte Gruppen, die Entwicklung innovativer Konzepte zur Energieversorgung sowie neue digitale Tools, die grenzüberschreitende Vernetzungen und Kooperationen ermöglichen.