Göttingen (epd). Der Göttinger Psychiater und Angstforscher Borwin Bandelow hält es für wahrscheinlich, dass die Messerattacke von Aschaffenburg die bevorstehende Bundestagswahl deutlich beeinflusst. „Immer wenn so etwas Schreckliches passiert, dauert es ungefähr so vier Wochen, in denen dieses Ereignis die Politik bestimmt und die Leute darüber reden und nachdenken“, sagte Bandelow dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Göttingen. Das decke sich ziemlich genau mit den Wochen des Wahlkampfs bis zum 23. Februar.
In Aschaffenburg waren am Mittwoch ein Kleinkind und ein Mann mit einem Küchenmesser getötet worden. Tatverdächtig ist ein offenbar psychisch kranker 28-jähriger ausreisepflichtiger Afghane.
Ereignisse wie dieses erschütterten das Sicherheitsgefühl der Menschen und seien geeignet, Ängste und Vorurteile gegenüber Migranten zu schüren, sagte Bandelow, der als Senior-Professor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen lehrt. Davon würden voraussichtlich populistische Parteien profitieren. „Das wird ihnen Wählerstimmen bescheren.“
Allerdings könne keine Regierung gleich welcher Couleur Taten psychisch kranker Menschen komplett verhindern. Nach der Wahl werde sich zeigen, dass die komplexen Probleme nur sehr schwierig zu lösen seien.
Momentan habe es Deutschland mit einer Häufung von Anschlägen und Messerattacken zu tun, sagte Bandelow mit Blick auf die Taten von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg. „Es entsteht das Gefühl, dass so etwas praktisch täglich passiert.“ Dadurch verschärften sich die Ängste. Statistisch sei die Gefahr, selbst zum Anschlagsopfer zu werden, allerdings gering, betonte der Neurologe und Psychotherapeut.
Insgesamt gebe es in Deutschland gegenwärtig einen „Überlauf“ an Ängsten, die Einfluss auf die Wahlen hätten, erläuterte der Wissenschaftler. Viele Menschen befürchteten, dass Russland die Ukraine einnehme und dann weitere Länder angreife. Hinzu kämen die Unsicherheiten nach dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump. Die Klimakrise dagegen beschäftige die meisten Menschen derzeit nicht so stark.
Das Sicherheitsgefühl werde sich nach einer gewissen Zeit wieder von selbst einpendeln, sagte Bandelow. Denn die Menschen gewöhnten sich an Gefährdungslagen und schreckliche Ereignisse, die es zu einem gewissen Prozentsatz immer geben werde. „Sie gehen so um mit ihrer Angst, dass sie irgendwann wieder zu ihrem Tagwerk übergehen“, erläuterte der Forscher und verwies auf Städte wie Johannesburg und Rio de Janeiro, wo die Menschen trotz hoher Kriminalität und vieler Überfälle ihren Alltag leben müssten.