Missbrauchsbetroffene zur Entschädigung: "Geld ist Lebensqualität"

Missbrauchsbetroffene zur Entschädigung: "Geld ist Lebensqualität"
22.01.2025
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Hannover (epd). Die Missbrauchsbetroffene Katharina Kracht fordert ein Jahr nach Veröffentlichung der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) weitere Aufarbeitungsprojekte. Jede Landeskirche und jeder Diakonieverband müsse eigene Studien in Auftrag geben, sagte Kracht im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Diese sollten die immer wieder auftauchenden, verharmlosenden Narrative zum Vorschein bringen.“

Sie befürchte allerdings, dass die Kirchen nur noch kleinere Studien für einzelne Fälle in Auftrag geben werden, sagte Kracht, deren Fall Gegenstand der ForuM-Studie war. Dabei gehe der Blick auf solche Narrative verloren. Kracht hatte auch beratend an der Missbrauchsstudie der Universität Osnabrück zum katholischen Bistum Osnabrück mitgewirkt.

Die dortigen Wissenschaftler hatten erstmals verharmlosende Erzählungen herausgearbeitet. Demnach wurde etwa sexualisierte Gewalt häufig als Liebesbeziehung tituliert oder damit erklärt, dass der Täter eine krankhafte Neigung habe. „Diese Narrative gibt es genauso in der evangelischen Kirche und es wäre sinnvoll, sie in großen Studien sichtbar zu machen“, sagte Kracht.

Kracht forderte die evangelische Kirche zugleich auf, sich bezüglich der Anerkennungszahlungen an der katholischen Kirche zu orientieren. Diese zahle deutlich mehr, seit sich ein Betroffener gerichtlich 300.000 Euro Schmerzensgeld erstritten habe. „Denn Geld ist Lebensqualität“, betonte Kracht.

Vor allem müsse die Kirche für diejenigen Menschen, die in Heimen der Diakonie schwer missbraucht wurden, schnell ein Nothilfesystem entwickeln. „Viele der Betroffenen sind 70, 80 Jahre alt und leben in Armut, weil sie keine Ausbildung machen konnten und schwer traumatisiert sind.“ Ein Nothilfesystem sollte unbürokratische Zahlungen zusätzlich zur Rente oder zum Bürgergeld ermöglichen.

Beim Umgang der evangelischen Kirche mit Betroffenen sieht die Mitbegründerin der Initiative „Vertuschung beenden“ kaum Fortschritte. Die Betroffenenvertreter im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hätten keine demokratische Legitimation, sondern seien von kirchlichen Gremien bestimmt worden.

Die EKD hätte mit Betroffenen über deren Beteiligung diskutieren sollen, kritisierte Kracht. Sie hätte etwa online und über Gemeindebriefe dazu aufrufen können. Das sei aber nicht geschehen. „Darüber hinaus müssten auch Betroffene beteiligt werden, die der Kirche nicht nahestehen.“

Die Beteiligung Betroffener im Rahmen der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen, die bundesweit zum Teil noch in der Gründung sind, betrachtet Kracht ebenfalls mit Skepsis. „In diesen Kommissionen geht es nur um Aufarbeitung. Wichtigstes Thema sind aber im Moment für die Betroffenen die Anerkennungszahlungen.“