Was dich nicht tötet, härtet ab – Was ist das für ein seltsamer Spruch? Abhärten, durchhalten, aushalten sind nicht gerade attraktive Verben, finde ich. Aber wenn man erfolgreiche Menschen fragt, wie sie u. a. erfolgreich geworden sind, sagen sie oft: Weil ich durchgehalten habe, weil ich abgelehnt wurde und mich durchgebissen habe, weil ich die/der Einzige/Erste war und es allen gezeigt habe. Auch Michelle Obama postet auf Instagram, das "Othering" (das Anders-Machen) habe sie stark gemacht.
Frauen haben sehr oft diese Erfahrung gemacht und Minderheiten auch. Wenn du dich immer behaupten musst, wenn du nicht "normal" bist, wenn du ständig begründen musst, warum du so bist, wie du bist, das glaubst, was du glaubst, so aussiehst, wie du aussiehst, dann hast du 1. immer eine Antwort parat und 2. eine innere Stärke gelernt. Wenn man Mitglieder von christlichen Minderheiten in vielen Ländern dieser Welt besucht, hört und beobachtet, sieht man genau das: Sie können beantworten, warum sie Christ:innen sind, sie haben eine innere Stärke, weil sie sich dauernd behaupten, erklären, rechtfertigen müssen. Und in ihrer Gemeinschaft stärken sie sich und halten zusammen.
Das ist jetzt sehr schemenhaft dargestellt und enthält doch einen wahren Kern. Und ich rede hier nicht von Verfolgung und Unterdrückung, das sind Ausnahmesituationen. Als Minderheit werden oft ethische und sichtbare Kennzeichen gepflegt, das ist eine Art Codierung. Wer Joseph oder Maria heißt, ist Christ*in, wer kein Schweinefleisch isst, ist vielleicht Muslim:a. Oft geht die Begründung so: Das machen wir so bei uns. Fertig. Erkennungszeichen verstärken die Gruppenidentität.
Niemand will Minderheit sein
Und dann entstehen paradoxe Situationen: Keine:r will Minderheit sein, niemand will ausgeschlossen und von der Norm abgesetzt werden. Aber wenn wir als Christ:innen in der Mehrheit sind und für uns alles möglich scheint, dann werden wir unkenntlich, wirken unsere Gemeinden oft leblos. Wir wollen möglichst keine Vorschriften zum täglichen Leben in unserer Kirche machen, das erscheint uns übergriffig, aber so verständigen wir uns auch nicht mehr hinreichend über unsere Identität.
In der Mehrheit verlieren wir uns und in der Minderheit wollen wir auch nicht sein. Und dann jammern wir auch noch, dass wir quantitativ Minderheit werden und gucken müde… Diese neue Situation könnte uns aber auch ermutigen, neu darüber nachzudenken, warum wir zur Kirche stehen und uns Christ*innen nennen. Wir könnten neu üben, Auskunft zu geben darüber, was uns bewegt, was wir glauben und warum – so wie es auch im Petrus-Brief steht (1. Petr 3,15).
Streng-Sein scheint in Mode
Andere Minderheiten tun sich durch Erkennungszeichen und ethische Vorschriften auch bei uns hervor und grenzen sich ab. Ein kleines morgendliches Busgespräch zwischen zwei jungen Teenagern, das ich beobachtet habe:
1: Ich habe letzte Nacht schlecht geträumt.
2: Oh, ich auch vor ein paar Tagen. Dann habe ich drei Mal gebetet, dann konnte ich weiterschlafen.
1: Krass! Bist du Christ?
2: Ja, aber orthodox, das sind die Strengen!
1: Oh, wow!
2: Also, die Orthodoxen sind die Ältesten, dann gibt es noch Katholische und Evangelische …
Streng zu sein, klare Regeln zu haben, scheint in Mode zu sein.
Keine einfachen Antworten
Wir bleiben in einem Paradoxon stecken: In der Mehrheit wird die Mehrheit unkenntlich, weil sie sich nicht behaupten muss. In der Minderheit bilden sich klare Kanten ab, die wir aber in der Mehrheit nicht gelernt haben auszubilden. Und die Moral von der Geschicht: Es gibt keine einfache Antwort. Aber, das Hören auf Geschwister aus dem Globalen Süden kann uns lehren, wie wir mutiger und entspannter in eine Minderheitensituation hineinwachsen können.
Und meine Leseempfehlung dazu, immer wieder gut: die Apostelgeschichte. "Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet."(Apg 2,42) In meinen Worten: Die Gruppen in den Gemeinden stärken uns, hier können wir uns gegenseitig unser Verständnis vom Glauben und unsere Erfahrungen erzählen, hier können wir Gott hineinlassen und im Gottesdienst zusammen mit ihm feiern.
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