Angst hat viele Gesichter. Die einen fürchten sich vor eher abstrakten, weil zumeist nicht akuten Bedrohungen wie Krebs, Krieg oder Klimawandel. Andere haben konkrete Phobien, die ebenfalls durchaus tödlich sein können. Vor diesem Hintergrund erzählt "Nix für Angsthasen", der zwanzigste Krimi aus der stets sehenswerten ZDF-Reihe mit Alexander Held, Bernadette Heerwagen und Marcus Mittermeier, eine clever ausgeklügelte Geschichte. Sie beginnt mit einem zwar bedauerlichen, aber keineswegs ungewöhnlichen Exitus: Ein Versicherungsmitarbeiter verlässt schweißgebadet und offenkundig in Panik den Aufzug im nächtlichen Bürogebäude und erliegt einem Herzinfarkt.
Das ist selbstredend kein Fall für die Mordkommission, und genau dies sollen Ludwig Schaller, Angelika Flierl und Harald Neuhauser feststellen. Weil sie schon mal da sind, erkundigen sie sich über den Mann und stellen fest: Christoph Bojanski war derart unscheinbar, dass er schon zu Lebzeiten in Vergessenheit geraten ist. Obwohl er bereits seit vierzehn Jahren im Unternehmen war, wissen die anderen nichts über ihn. In der ganzen Zeit ist er nur einmal aufgefallen, dann aber gleich richtig, als er gemeinsam mit einem anderen einen bewaffneten Überfall auf einen Kiosk im Tierpark vereitelt hat.
Somit gäbe es mit dem womöglich rachsüchtigen Räuber, Viktor Schratz, zumindest theoretisch schon mal einen Verdächtigen, aber davon abgesehen hat das Trio nichts in der Hand: kein Mord, kein Motiv, keine Tatwaffe. Immerhin erfährt Schaller kurz drauf von dem zweiten Mann, Max Hämmerle (Sebastian Bezzel), dass Schratz gerade erst wegen guter Führung entlassen worden ist. Hämmerle kann sich derart gut an die "unbändige Wut" in den Augen des Kriminellen erinnern, dass ihm noch heute angst und bange wird.
Er ist überzeugt, dass Schratz (Michael Kratz) Bojanski auf dem Gewissen hat, wie auch immer er das angestellt haben mag, und dass er selbst ebenfalls in Lebensgefahr schwebt. Der Ex-Häftling offenbart sich allerdings als ein Mensch, der während seiner Haft zu Jesus gefunden und geheiratet hat. Er sucht in der Tat den Kontakt zu Hämmerle, aber nur, um ihn um Vergebung zu bitten. Andererseits kann das natürlich auch eine Masche sein, und tatsächlich zeigt sich, dass durchaus noch sehr viel Wut in ihm schlummert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Schon dieser Teil des Drehbuchs von Matthias Kiefersauer (auch Regie) und Alexander Liegl würde Stoff für einen interessanten Krimi bieten, aber die zweite Handlungsebene ist nicht minder reizvoll, denn Bujowski hat ein Doppelleben geführt. Seine Postadresse entpuppt sich als Briefkasten an einer leerstehenden Waldhütte: Er hat abwechselnd bei zwei Frauen gelebt, die beide ein Kind von ihm erwarten. Die zwischenzeitlichen Abwesenheiten hat er mit Dienstreisen erklärt. Natürlich gelten Karina Niederlechner (Teresa Rizos) und Lilly Ertl (Magdalena Höfner) aus Sicht des Ermittlungstrios ebenfalls als hochgradig verdächtig. Es gibt nur ein Problem: Wie soll man Verdächtige eines Mordes überführen, der gar keiner ist?
Großen Spaß machen neben der Handlung und kleinen Überraschungen wie etwa einer Mausefalle im Briefkasten vor allem die Dialoge zwischen den drei Hauptfiguren und die Versprecher von Angelika Flierl ("Verbandsdreieck und Warnkasten"). Um ein bisschen Würze ins Miteinander zu bringen, lässt das Drehbuchduo sie mit dem Abschied aus dem Polizeidienst liebäugeln, denn auch die Oberkommissarin führt im Grunde ihres Herzens ein Doppelleben: Ihr Talent als Kriminalistin ist offenkundig, doch eigentlich sieht sie sich eher als Musikerin. Ein Pfleger (Manuel Steitz) in der Reha-Klinik, in der Bujowski nach einem früheren Herzinfarkt zur Kur war, erinnert sich noch lebhaft an einen Auftritt, als die Ukulelistin buchstäblich ein Auge auf ihn geworfen hat.
Ihre Ambitionen sorgen für eine überraschende Schlusspointe, als der Film verrät, welche nicht weiter benannte, aber bundesweit ziemlich bekannte Band aus einer Kleinstadt westlich von München Fierl sie eingeladen hat, an der bevorstehenden Tour teilzunehmen. Der vermeintliche Nebenstrang ist zwar ein Spaßettl, aber die Begegnung mit Pfleger Rocco erweist sich auf verblüffende Weise als wichtiges Puzzlestück für die Lösung des Falls. Das entscheidende Detail ergibt sich jedoch durch die Rekonstruktion des Raubüberfalls, selbst wenn die reihentypische Schaller-Scharade zunächst in eine Sackgasse zu führen scheint. Als die Geschichte scheinbar zu Ende und der Fall geklärt ist, schlägt der Film einen weiteren unerwarteten Haken und wird plötzlich richtig spannend.