Seit der Mensch glaubt, dass höhere Mächte sein Schicksal bestimmen, trachtet er danach, diese Rolle selbst zu übernehmen. Gott hat uns nach seinem Bilde erschaffen, heißt es in der Bibel. Mittlerweile sind wir so weit, dem Schöpfer auch in dieser Hinsicht ins Handwerk zu pfuschen: Gezielte Eingriffe in die DNS machen es möglich, Gene einzufügen oder zu entfernen. Theoretisch könnten Kinder auf diese Weise maßgeschneidert werden. Neben der Erfüllung spezieller Wünsche wie Augen- und Haarfarbe oder besondere Begabungen ließen sich auch Erbkrankheiten eliminieren; und darum geht es in Marc Elsberg 2016 erschienenem Thriller "Helix" (Blanvalet). Die Schauplätze des Romans sind über die ganze Welt verteilt, die Geschichte beinhaltet unter anderem die Ermordung des amerikanischen Außenministers und die Entführung der US-Präsidentin.
All’ das wäre für einen deutschen Fernsehfilm mehr als nur eine Nummer zu groß. Jörg Tensing hat die Vorlage daher rigoros reduziert und auf hiesige Verhältnisse übertragen. Die wichtigste Änderung betrifft jedoch die Hauptfigur, mit deren Hilfe das Drehbuch gleich mehrere zentrale Aspekte des Films verknüpft: Helen Schilling (Svenja Jung) ist Personenschützerin beim BKA und Bodyguard des Bundesministers für Wirtschaft und Umwelt. Die Polizistin und ihr Freund Cem (Ugur Kaya) hätten gern Kinder, aber Helen hat einen genetischen Defekt, der irgendwann zu einer unheilbaren Erkrankung des Gehirns führen wird; deshalb verzichtet das Paar schweren Herzens auf Nachwuchs.
Die Geschichte könnte sich also auch zu einem Drama entwickeln, in dem ein ungewollt kinderloses Paar angesichts der wissenschaftlichen Möglichkeiten neue Hoffnung schöpft.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Diese Erwartung erfüllt Tensing zwar auch, aber der Auftakt lässt keinen Zweifel daran, dass "Helix" ein Thriller ist: Während einer Pressekonferenz bricht der Minister zusammen, Helens Reanimationsversuche bleiben vergeblich; mit Hannes Jaenicke verliert der Film bereits nach wenigen Minuten seinen Topstar.
Todesursache war ein exakt auf eine Herzschwäche des Politikers zugeschnittenes Virus. Der Erreger ist mit Hilfe der Crispr/Cas-Methode entwickelt worden. Auf gleiche Weise verändert ein Gen-Forscher (Samuel Finzi) in Norwegen das Erbgut, um den Nachwuchs seiner Kundschaft zu optimieren; Cem überredet Helen zu einem unverbindlichen Besuch dieser sehr speziellen Kinderwunschklinik. Ihre Schwester Paula (Marie Bloching), bei der die Erbkrankheit bereits ausgebrochen ist, widmet ihre letzten Lebensjahre dem Kampf gegen einen Konzern, der mit genmanipulierten Pflanzen das Ökosystem zerstört. Dabei wird sie zur willigen Marionette eines mysteriösen Drahtziehers: Der amerikanische Biohacker Ed Deaver (Benny O. Arthur) ist Helen dank seiner digitalen Omnipräsenz stets mindestens einen Schritt voraus; bis zum Schluss bleibt offen, auf welcher Seite er steht.
Regisseur Elmar Fischer hat das Drehbuch, dessen Handlungsreichtum problemlos für 120 Minuten gereicht hätte, enorm dicht umgesetzt. Eher unnötig sind allein die optischen Ausrufezeichen, wenn die Kamera bei wichtigen Sätzen näher an die Personen ruckelt; sympathisch ist andererseits die Idee, Smartphone-Inhalte auf eine Fassade zu projizieren. Eine Szene ist darstellerisch unrund, als die Verlegenheit der wissenschaftlichen Staatsschützerin (Helene Grass) allzu gespielt wirkt, doch davon abgesehen ist "Helix" gerade auch wegen der Ensemble-Leistung sehenswert. Marie Bloching, zuletzt schon famos als wütende Rächerin in der RTL-Serie "Angemessen Angry" (2024), ist als nicht minder zornige, aber dem Tod geweihte Aktivistin ohnehin eine erstklassige Besetzung, zumal das Zusammenspiel mit Svenja Jung perfekt harmoniert. Das wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass Helen schließlich glaubwürdig Paulas Part übernimmt und den Kampf der Schwester fortsetzt.
Eine weitere Schlüsselrolle spielt Mina Tander als Nachfolgerin des ermordeten Ministers. Basis von allem ist jedoch Tensings Drehbuch, das zu gleichen Teilen Wissenschaftskrimi, Polit-Thriller, Familiendrama ist, mit gleichermaßen aktuellem wie brisanten wissenschaftlichen Anspruch und dank der Nervenkitzelmusik (Matthias Beine) außerdem durchgehend spannend. Von Tensing, zuvor regelmäßig fürs "Herzkino" des ZDF tätig ("Katie Fforde"), stammte zuletzt auch das Drehbuch zum gleichfalls herausragend guten Drama "Allein zwischen den Fronten" (2024) über einen Polizisten, der nach einer eskalierten Demonstration öffentlich angeprangert wird.