Es ist der erste Tag seit langem, an dem die Sonne scheint. Ein Freitag. Der Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist voller Menschen, die sich durch die Budengassen schieben. Die Stimmung ist warm, wie das Licht der Buden und Lichterketten. Weihnachtsmotive glitzern von den Hausfassaden. Es riecht nach Waffeln und Punsch. Familien schlendern untergehakt durch die Gänge. Mein vierjähriger Enkelsohn hopst mit mir zusammen über das Pflaster und freut sich über das Glockenspiel am Dom. Gerade war er oben auf dem großen Riesenrad und erzählt mir, wie klein die Leute von dort oben waren. Als es dunkel wird, fahren wir wieder nach Hause.
Zwei Stunden später steht die Welt still. Bilder vom Weihnachtsmarkt flackern über mein Telefon. Der gleiche Ort. Die gleiche warm beleuchtete Szene, doch wie aus einem anderen Leben, das nicht in dieses gehört. Als wäre der Tag um 19.04 Uhr an dieser Stelle abgebrochen und in eine andere, bewölkte, dumpfe Welt hinübergegangen.
Wenig später biegt mein Auto in die Innenstadt ein. Aus der ganzen Region und darüber hinaus sind Einsatzkräfte angereist. Wie ein eigener Organismus funktionieren sie alle zusammen, um zu klären, zu retten, abzusichern und zu helfen. Die äußere Sicherheitslage ist unklar und unsere innere auch. Wir alle beginnen ratlos als Krisenstab der Kirche zu klären, was jetzt unser Aufgabe ist.
Bis spät in die Nacht sitzen wir zusammen. Ganz in der Nähe sind dutzende Notfallseelsorger*innen bei denen, die in dieser Nacht schweren Schaden genommen haben, halten Hände, halten aus, gehen nicht weg. Dann ist der Morgen danach. Über der Stadt liegt eine lähmende Stille. Die sonstige Betriebsamkeit ist in den slowmotion-Modus übergegangen, als würden alle in der Stadt nur schwer Luft bekommen. Die Menschen suchen einen Ort für das, was sie umtreibt und aus den Adventsgefühlen gerissen hat, aus den Plänen für das Weihnachtsfest, aus der eigenen inneren Festung, die sonst die schlimmen Bilder von einem hält. An der Johanniskirche wird aus dem Berg ihrer Sorgen und Verzweiflung ein Hügel voller Kerzen und Blumen. Manche nehmen sich in den Arm. Andere wollen nur reden.
Am Abend heute werden wir einen Gottesdienst feiern. Auch wenn wir keine Worte haben. Und um 19.04 Uhr läuten die Glocken in der ganzen Stadt.