Bei manchen Wörtern ist es sofort klar, woher sie stammen und was sie bedeuten. "Endlösung", "Selektion" oder "entartet" triefen nur so vom satten Braun der Ideologie dieses düsteren Kapitels der deutschen Geschichte. Wer sie heute noch benutzt, tut dies wohlüberlegt und in der Regel in einem historischen Kontext oder aber, er will bewusst provozieren.
Selbes gilt für markante Sätze aus dieser Zeit. Besonders bekannt: "Arbeit macht frei", ein Satz, der an den Toren mehrerer Konzentrationslager prangte, unter anderem in Auschwitz. Die Worte galten den Nationalsozialisten, nach außen gut sichtbar angebracht, als Rechtfertigung gegenüber der Bevölkerung. Heute versteht man sie zurecht als bittere Verspottung der Opfer in den Vernichtungslagern.
Doch was ist mit dem Spruch "Jedem das Seine"? Es passiert, dass er in harmlosen Kontexten, beispielsweise im Umgang mit Kindern immer mal wieder auftaucht, wenn es beispielsweise darum geht Sachen auseinander zu sortieren. Er hat aber eine ähnlich grausame Geschichte aus der NS-Zeit, schreibt das Portal Studyflix. Ursprünglich ein Prinzip der antiken Philosophie zur Verteilungsgerechtigkeit, wurde der Satz am Eingang des Konzentrationslagers Buchenwald zynisch zweckentfremdet. Er war von innen lesbar und sollte den Insassen deutlich machen, dass sie "das bekommen, was sie verdienen".
Reden wir heute noch wie Nazis?
"Kulturschaffende", "entrümpeln" und "Groschengrab" sind dagegen Beispiele für Wörter, die von den Nationalsozialisten neu geprägt wurden und bis heute noch gebräuchlich sind. Besonders trickreich war der Einsatz der Sprache im Sinne der ideologischen "Schönrederei", beispielsweise beim Wort "betreuen". In dem im Jahr 1957 erschienen Nachschlagewerk mit dem Titel "Aus dem Wörterbuch des Unmenschen", dessen Stichworte von den Publizisten Dolf Sternberger, Wilhelm Emanuel Süskind und Gerhard Storz zusammengetragen und kommentiert worden sind, definiert Sternberger das Wort "Betreuung" als "diejenige Art von Terror, für die der Jemand - der Betreute - (auch noch) Dank schuldet." Weiter heißt es: "Die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) betreute Mutter und Kind, der Reichsnährstand die Bauern, die Arbeitsfront die Arbeiter; die Wirtschaftsgruppen, Wirtschaftsämter, Rüstungsinspektionen und andere Behörden, alle zusammengefaßt im ausdrücklich so benannten ,Betreuungsausschuß', betreuten... die industriellen Betriebe. Und Fakt war: Die Geheime Staatspolizei betreute die Juden...".
Katja Eifler volontierte nach ihrer Studienzeit im Lokalradio im Rhein-Kreis Neuss. Anschließend arbeitete sie als Radioredakteurin. Später als Redaktionsleiterin eines Wirtschaftsmagazins am Niederrhein. Heute ist sie freischaffende Journalistin, Online-Texterin, Coach und Moderatorin. Seit April 2023 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Die deutsche Sprache hat sich den Begriff "betreuen" zurückerobert und es ist gelungen, ihn wieder überwiegend positiv zu besetzen. Dennoch: Je nach Sinnzusammenhang und vor allem je nachdem, wer ihn benutzt, sollten man hellhörig bleiben. Selbes gilt für den Begriff der "Gleichschaltung". Er stammt ursprünglich aus dem Bereich der Technik und sollte auch nur so verwendet werden. Ein Bericht im Fokus zählt auch die Wörter Blitzkrieg, Anschluss oder Ermächtigen dazu, die harmlos sein können, auf die man aber in bestimmten Situationen lieber verzichten sollte.
Noch immer gibt es auch Menschen, die den Begriff "Mischehe" benutzen, wenn sie beschreiben wollen, dass zwei Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen heiraten. Das Wort geht ebenfalls auf die Zeit des Nationalsozialismus zurück und bezeichnete vor allem die Ehen zwischen jüdischen und deutschen Personen. Ebenso erging es dem Wort Eintopf. Aus ihm formten die Nationalsozialisten eine neue Wortkombination und kreierten den sogenannten "Eintopfsonntag". Er wurde in der NS-Propaganda als Symbol für Gemeinschaft und Opferbereitschaft propagiert "Es genügte nicht, daß jemand zwar eine Eintopfspende gibt, aber seine gewohnte Sonntagsmahlzeit verzehrt. Das ganze deutsche Volk soll bei diesem Eintopfsonntag bewußt opfern, sich einmal in seiner gewohnten Lebenshaltung einschränken, um bedürftigen Volksgenossen zu helfen." heißt es in einem Artikel von Cornelia Schmitz-Berning über die Vokabeln im Nationalsozialismus.
Drei Buchstaben für ein Stigma
Auch bestimmte Strukturen des Sprachgebrauchs haben ihre Wurzeln im Nationalsozialismus. Dazu zählt der bestimmende Artikel, der zur Verallgemeinerung von Gruppen verwendet wird, etwa "der Jude" oder "der Russe", schreibt es das heulermagazin in einem Beitrag über die Begriffe der Nazi-Zeit: "Diese Formulierungsweise haben die Nazis sich nicht ausgedacht, sondern aus der Wissenschaft übernommen, um in ihrem Handeln wissenschaftlich fundiert zu wirken."
Darüber hinaus griff die NS-Propaganda bewusst auf Begriffe und Rituale aus der Religion zurück. Wörter wie "ewig"und "Glaubensbekenntnis" wurden in ihren Reden verwendet, während Rituale wie der sogenannte "Weihnachtskult" der kirchlichen Liturgie nachempfunden wurden. Der bekannte Antwortruf "Sieg Heil" verwendet nicht nur das christlich geprägte Wort "heil", sondern ähnelte in seiner Form dem liturgischen "Amen" einer Gemeinde, heißt es in einem Beitrag auf Wikipedia.
Doch wie gehen wir heute mit diesen Wörtern um? Experten wie Matthias Heine, Verfasser des Buches "Verbrannte Wörter. Wo reden wir noch wie die Nazis", plädieren für einen bewussten, aber entspannten Umgang. Heute liegt es an den Menschen selbst, diese Sprachgeschichte nicht zu vergessen, sondern kritisch zu hinterfragen. Denn aus der Sprachwissenschaft ist bekannt, das Sprache nicht nur unsere Kommunikation bestimmt, sondern auch unser Denken formen kann– und damit unsere Gesellschaft.