Es kann der Beste keine Meisterwerke schaffen, wenn’s dem kleingeistigen Arbeitgeber nicht gefällt: Wir schreiben das Jahr 1734, wenige Tage vor Heiligabend. Johann Sebastian Bach, Thomaskantor der Stadt Leipzig, ist wieder mal dabei, weit übers Ziel hinauszuschießen; zumindest aus Sicht des Stadtrats.
Der hat für den Weihnachtsgottesdienst einige schlichte Lieder bestellt, die die Mitglieder der Kirchengemeinde ohne Weiteres mitsingen können. Aber dieser sture Querkopf Bach komponiert stattdessen erneut eins seiner ausufernden Werke; nur allzu gut ist den Menschen noch die verstörende "Matthäus-Passion" in Erinnerung.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der 1750 verstorbene Bach, einer der größten Komponisten überhaupt, wird gerade im Ausland regelrecht verehrt; Jahr für Jahr pilgern musikalische Ensembles aus aller Welt zum Bachfest nach Leipzig. Er war zwar kein verkanntes Genie, aber seiner Zeit dennoch weit voraus.
Da filmische Biografien ohnehin immer dann am interessantesten sind, wenn sich die Hauptfigur scheinbar unüberwindlichen Herausforderungen stellen muss, ist das zentrale Motiv von Christian Schnalkes Drehbuch zur Bach-Hommage nicht das Wirken, sondern der Widerstand. Der bornierte Stadtrat (Thorsten Merten) sitzt zwar am längeren Hebel, weil der Vertrag des Musikdirektors "opernhafte Kantaten" ausdrücklich untersagt, aber darüber setzt sich Bach (Devid Striesow) ebenso kurzerhand hinweg wie über die Eifersüchteleien des Superintendenten (Christoph Luser), der fürchten muss, dass der Komponist die Herzen der Menschen mit seiner Musik viel besser erreicht als der Theologe mit seinen Predigten.
Als größeres Hindernis auf dem Weg zum Triumph entpuppt sich jedoch ausgerechnet die Familie, und spätestens jetzt bietet die Handlung auch knapp dreihundert Jahre später einen Anknüpfungspunkt. Anna Magdalena (Verena Altenberger), die als Sängerin große Anerkennung genießt, ist bereit, ihre eigenen Bedürfnisse der Genialität des Gatten unterzuordnen, zieht aber eine nicht verhandelbare rote Linie.
Sieben Söhne und Töchter haben das Kleinkindalter nicht überlebt, sie will kein weiteres Kind verlieren - doch nun ist der kleine Gottfried verschwunden: Der mitunter cholerische Bach hat den geistig etwas sonderbaren Jungen angeschnauzt, weil er sich durch sein Summen abgelenkt fühlte; also machen sich alle auf die Suche.
Vermutlich bezieht sich der Titelzusatz auch auf das Oratorium, aber das eigentliche "Weihnachtswunder" ist der letzte Akt, als die hochmusikalische Familie das Werk gemeinsam vollendet; allein wäre Bach niemals rechtzeitig zum Gottesdienst an Heiligabend fertig geworden.
Emotionales Zentrum ist ohnehin der Konflikt mit seinem zweitältesten Sohn Emanuel. Dass die Rolle mit Devid Striesows Sohn Ludwig Simon besetzt wurde (beide sind neben der Schauspielerei auch Musiker), macht diese Szenen doppelt reizvoll. Der Junior kann es dem Alten einfach nicht recht machen, Bach verspottet das von Emanuel geleitete Universitätsorchester als "Studentenkapelle"; dabei spielt es seine Werke.
Darstellerisch ist der Film ohnehin herausragend; zu nennen wäre noch Dominic Marcus Singer als Friedemann, zumal er Striesow ähnlicher sieht als dessen leiblicher Sohn. Eine kleine, aber sehr wesentliche Rolle hat Christina Große als Ehefrau des Stadtrats, die ihrem Mann klar macht, dass er drauf und dran ist, ein Meisterwerk zu verhindern. Hervorragend geführt sind auch die beiden jüngsten Mitwirkenden: German von Beug ist mit seinem markanten Gesicht eine ausgezeichnete Besetzung für den verhaltensauffälligen und von den anderen Kindern verspotteten Gottfried; Lotta Herzog macht ihre Sache als aufgeweckte Elisabeth ebenfalls sehr gut.
Natürlich braucht ein Film über einen großen Komponisten auch eine große Musik. Wie Martina Eisenreich Motive aus Bachs Werk in ihre eigene Arbeit integriert hat, ist große Kunst. Abgerundet wird das fesselnde biografische Drama durch eine sehenswerte Bildgestaltung (Sten Mende), die auch mit Hilfe einiger flotter Fahrten ihren Teil dazu beiträgt, dass Florian Baxmeyers Inszenierung nicht in Ehrfurcht erstarrt.
Die Kamera nimmt bei Bach zwar gern eine unterwürfige Perspektive ein und lässt ihn auf diese Weise überlebensgroß wirken, aber die ebenbürtige Rolle von Verena Altenberger sorgt dafür, dass er trotzdem von dieser Welt bleibt. Ganz ähnlich ist Schnalke bereits bei seinem Drehbuch zum Luther-Jahr vorgegangen ("Katharina Luther", 2017), indem er nicht den gleichfalls von Striesow verkörperten Reformator, sondern dessen Frau zur zentralen Figur machte.