Im strömenden Regen und mit versonnenem Lächeln begutachtet Leonie Schipper eine gut zwei Meter hohe Kiefer. Ihre Nichte Ava (6) hält den vor einer Woche im Venner Moor bei Osnabrück abgesägten Baum mit den spillerigen Zweigen und den himmelwärts gerichteten Nadeln aufrecht. So kann die Tante ihn eingehend betrachten. Die Moorkiefer wird Schippers Weihnachtsbaum."Das Moor muss erhalten werden, die Bäume müssen raus", erklärt sie. Außerdem habe die Kiefer "so einen tollen skandinavischen Look".
Die Moorkiefer sei die "ökologischste" Alternative zur klassischen Nordmanntanne, erklärt Andreas Peters, Vorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu) Osnabrück. Seit zehn Jahren bietet der Verein in der Adventszeit Moorkiefern als Weihnachtsbäume an. "Am ersten Advent werden sie geschlagen, am zweiten Advent geben wir sie gegen eine Spende ab", erläutert der Vorsitzende Andreas Peters. Im Schnitt gebe jeder etwa 15 Euro pro Baum.
Das Geld komme vollständig der Renaturierung des Venner Moores zugute. Moore sind wichtige Kohlenstoffspeicher, wurden aber in der Vergangenheit zugunsten des Torfabbaus fast vollständig trockengelegt. Umweltverbände wie Nabu und der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) kämpfen für ihre Wiedervernässung.
Dafür entfernen Ehrenamtliche regelmäßig die aufwachsenden Bäume, wie Birken, Taubenkirschen oder eben Kiefern. Sie werden in der Regel direkt kompostiert oder als Brennholz genutzt, sagt Peters. "Da macht es doch Sinn, quasi eine Zwischennutzung als Weihnachtsbaum einzuschieben."
Erst häßlich, jetzt Kult
Weihnachtskiefer-Aktionen sind dennoch nicht sehr verbreitet. Die Internet-Recherche ergibt lediglich eine ähnliche Aktion der BUND-Jugend in Hannover. Auch dem Nabu Deutschland sind keine weiteren bekannt. In Osnabrück jedoch boomt die Weihnachtskiefer geradezu, sagt Peters. Anfangs hätten die Bäume noch als hässlich gegolten. "Mittlerweile sind sie Kult. Außerdem halten sie lange und nadeln kaum." Genaue Zahlen habe er nicht, aber bis zu 800 könnten es dieses Jahr schon sein. "Wahrscheinlich muss ich mittags schon vermelden, dass alle Bäume weg sind."
Wie Leonie Schipper und Ava stapfen an diesem nasskalten Morgen Dutzende Erwachsene und Kinder, die Füße in dicken Wanderschuhen und Gummistiefeln über den aufgeweichten Rasen des Nabu-Geländes. Diskutierend wuseln sie zwischen Gruppen von Kiefern herum, die an Zäune oder ausgewachsene Bäume gelehnt sind. "Diese hier oder lieber diese?", rätselt Roland Ziegler lachend, an jedem ausgestreckten Arm eine Moorkiefer.
Seine Frau Franziska hat das Smartphone gezückt und schickt ein Foto an die beiden Töchter zu Hause. Sie sollen mitentscheiden. "Die Moorkiefern sind originell und haben einen speziellen Charme", sagt die Mutter. "Wir schmücken sie immer mit Strohsternen, Kugeln, selbstgebastelten Engeln und Lichterketten."
Kiefern schmücken, nicht so leicht
Das Schmücken einer Moorkiefer verlange ein bisschen Geschick, meint Leonie Schipper. Sie empfiehlt wegen der lichten Äste große Kugeln. "Ich hätte gerne echte Kerzen, aber die sind leider zu schwer für die dünnen und biegsamen Zweige." Ihre Nachbarin Heike, die seit vier Jahren zu den Moorkiefern-Fans gehört, nimmt zwei Kiefern mit und steckt sie zu Hause ineinander. "Dann sehen sie dichter aus." Bei ihren Kindern müsse sie allerdings echte Überzeugungsarbeit leisten. "Die hätten lieber eine gleichmäßig gewachsene Nordmanntanne, aber sie sehen immerhin den ökologischen Aspekt."
Waldreferent Sven Selbert vom Nabu Deutschland rät dazu, das Öko-Thema bei Weihnachtsbäumen nicht zu hoch zu hängen. "Selbst der konventionelle Weihnachtsbaum von der Plantage ist nicht der Klimakiller schlechthin."
Wer etwas für Umwelt und Klima tun wolle, solle sich viel eher darüber Gedanken machen, ob lange Autofahrten und der hohe Fleischkonsum zu Weihnachten sein müssten. "Mit einem Schnitzel habe ich den ökologischen Fußabdruck des Weihnachtsbaums schon übertroffen." Vor allem aber sollten Familien nicht über den "allerökologischsten" Weihnachtsbaum zanken. "Das nachhaltigste Weihnachtsfest ist ein friedliches ohne Streit."